Christoph Ramisch, Pati Grabowicz, Timon Christen (Bilder)
In Basel kontert man dem Clubsterben mit einem Neubau für die Popkultur. Die findet in der Neuen Kuppel nicht nur eine verlorene Heimat wieder. Sie gewinnt auch einen Raum, der durch seinen umhüllenden Klang besticht.
Im Zürcher Langstrassenquartier drängten sich Ende März hunderte Menschen, um ihrer Zukunft Lebewohl zu sagen. Mit der «Zuki» schloss der legendärste Club der Stadt für immer seine Schallschutztüren. Das Haus wird abgerissen. An seiner Stelle entstehen Wohnungen und ein Coop Pronto im Erdgeschoss. Erbarmungslos frisst die Aufwertung alle Räume, in denen sich Subkultur entfalten konnte. Und langsam gehen die Alternativen aus. In Basel setzt man nun dagegen: Neben den frischen Sälen im Stadtcasino und im Jazz-Campus von Buol & Zünd (vgl. wbw 3–2015, S. 18–19) eröffnete mit der «Neuen Kuppel» ein weiterer Neubau, eigens für die Popkultur. Doch die Institution hat bereits eine lange Geschichte.
Mit seinem kuppelartigen Zeltdach gastierte das achteckige Holzprovisorium seit 1988 im Basler Nachtigallenwäldeli. Im Grünzug zwischen Heuwaage und Zoo mauserte sich das Zelt zur angesehenen Konzertadresse und prägte sich tief ins Gedächtnis mehrerer Basler Partygenerationen ein. Entsprechend gross war daher der Widerstand, als «die Kuppel» 2016 im Zuge der Umgestaltung des Wäldchens weichen musste. Der neu gegründeten Stiftung Kuppel gewährte der Kanton das Baurecht am bisherigen Ort und legalisierte dort mittels Bebauungsplan die musikalische Nutzung. Unter den neuen Bedingungen führte der eingeladene Wettbewerb 2019 zu einem Neubauprojekt, dessen Kosten nach bewährtem Basler Modell eine anonyme Mäzenin übernahm.1
Im Laufe der Planung wurde dem siegreichen Projekt von Vécsey Schmidt ein zweiter Bau beiseitegestellt. Mit dem Büro der Clubleitung übernimmt dieser Teile des Raumprogramms und schliesst die Lücke zur Binningerstrasse. Nicht zuletzt deshalb steht die Neue Kuppel, wie ihre Vorgängerin, als freies Oktagon im Grünen. Die achtseitige Fassadenabwicklung zeigt sich allseits gleich und macht das üppige Volumen schlank. Dem früheren Provisorium verpflichtet, krönt auch den Neubau eine markante Dachfigur. Acht hohe Bögen verleihen ihm eine Anmutung, die an Zentralbauten der Renaissance erinnert. Überhaupt oszilliert der Ausdruck des Baus zwischen klassischer Schönheit, industriellem Habitus und Pop. Das grüne Stahlgerüst zeichnet wohlproportionierte Felder in die Fassaden ein. Die sind mit Sichtbackstein aufgemauert und in einem helleren Grün geschlämmt. Sympathisch verstörend sind die rosaroten Okuli in den Bogengiebeln. Sie stärken den klassischen Kanon der Fassade und setzen ihr zugleich, der Nutzung des Baus entsprechend, quasi Janis Joplins poppige Nickelbrille auf.
Im bildkräftigen Haus steckt ein zweites, gänzlich vom äusseren getrennt. Der Luftraum dazwischen stoppt den Körperschall. Wo sich die Häuser dennoch berühren, sind die Kontaktstellen dank Gummipuffer schallentkoppelt. Selbst der Mörtel im Sichtmauerwerk ist hochverdichtet, damit auch der Luftschall nicht nach aussen dringt. Laut Christoph Schmidt von Vécsey Schmidt wurde die Hülle mit Stethoskop und Hämmerchen geprüft, um sicherzustellen, dass die erlaubten 110 Dezibel wirklich drinnen bleiben.
Auch räumlich sind Leise und Laut getrennt. Im Erdgeschoss dient das Foyer mit Bar als Pufferraum, der Ankommenden den akustischen Übergang und Anwesenden mal eine Pause gönnt. Zwei Treppenaufgänge, die auch als Schallschleusen fungieren, führen ins Obergeschoss und dort in die Herzkammer des Hauses. Im Konzertsaal findet man das äussere Oktagon wieder und erkennt beim Blick nach oben, dass die Neue Kuppel genau genommen ein Rippengewölbe ist: Vier Tonnen verschneiden sich um je einen Achtelkreis versetzt. Die Radien der Tonnen sind verschieden und strecken den Zentralraum zu einem leicht gerichteten Bühnenraum. Der räumliche Kniff hat konstruktive Folgen. Aufgrund der unterschiedlichen Massen der Tonnen heben sich deren Horizontalkräfte nicht mehr in den Rippen auf. Auch deshalb wurden die Tonnen, statt des geplanten Backsteingewölbes, betoniert.2 Die Geometrie der Rippen ist zudem eher räumlich als statisch (oder akustisch) optimiert. Erst spät senkt sich ihre elliptische Form in die Pfeiler der Aussenwand, um die nötige Kopffreiheit auf den Galerien zu bieten. Dort stehend, blickt man in den Saal hinab. In ein gedämpftes Blau getaucht, wirkt dieser angenehm schummrig für die Nacht. Unter dem Scheitelpunkt des Gewölbes spiegelt eine mächtige Diskokugel tanzende Lichteffekte in die Tonnen über dem Publikum.
Sobald das Licht aus- und die Musik angeht, tritt das Visuelle in den Hintergrund. Die Wahrnehmung verschiebt sich vom Auge zum Ohr. Dem Erlebnis des Raums tut dies keinen Abbruch, im Gegenteil: Dank seiner Geometrie gelang es laut Gabriel Hauser, dem Akustiker des Projekts, mit dem Saal ein «einhüllendes Klangerlebnis» zu formen. Dass das Gewölbe betoniert wurde, war eine schalltechnische Herausforderung, aber kein unlösbares Problem. Der Beton brachte wertvolle Masse für den Schallschutz mit. Unabhängig vom Material halfen die Radien der Tonnen, den Schalldruck im Raum zu verteilen und die Nachhallzeiten zu optimieren. Auch die geschwungenen Galeriebrüstungen erinnern nicht nur an barocke Kapellen, in denen einst Bach’sche Kantaten erklangen. In Basel sind die konkav-konvexen Krümmungen ein probates Mittel, um «fette Beats» so zu lenken, dass kein unangenehmes Dröhnen entsteht. Im digitalen Modell hat Hausers Team den Klang simuliert und, wo nötig, die Raumgeometrie angepasst. So sind die Zugänge zum Saal leicht schräg gestellt, um parallele Wände und dazwischen ein mögliches Flatterecho zu verhindern.
Wo die Geometrie an ihre Grenzen stösst, wurde an Material und Oberflächen gefeilt. Sämtliche Brüstungen und ein Grossteil der Wände sind mit Holzpaneelen verkleidet. Je nach gewünschtem Effekt sind diese in unterschiedlichen Durchmessern gelocht. Die Perforation absorbiert ausgesuchte Frequenzbereiche und verhindert Schallbündelungen, sodass überall im Saal der identisch reine Klang entsteht. Viele gestalterische Entscheide dienen nicht allein der Optik, sondern auch dem Klangerlebnis. «Dieser Raum», so betont es Christoph Schmidt, «wurde für die Musik gemacht.» Und über sie soll man ihn erfahren. Natürlich darf man das Gewölbe bestaunen, doch die vollständige Wirkung des Raums entfaltet sich erst dann, wenn man ihn mit den Ohren zu sehen beginnt.
1 Bereits 2001 gab es einen Wettbewerb, den Lost Architekten aus Basel gewannen. Das Projekt wurde nicht realisiert, weil die rechtlichen und finanziellen Bedingungen nicht geklärt waren. Die Baukosten des nun umgesetzten Projekts betragen 14 Mio. CHF. Für die acht Proberäume im Untergeschoss beteiligte sich der Kanton Basel-Stadt mit 1.7 Mio. Der restliche Betrag wurde aus privaten Spenden finanziert.
2 Neben statischen Gründen führten fehlendes handwerkliche Know-how in der Schweiz und die fehlende Bereitschaft ausländischer Unternehmer, ihre Equipen für längere Zeit in die Schweiz zu senden, zu dem Entscheid, die Tonnen zu betonieren. Infolge der fehlenden Kenntnisse konnten zudem keine verlässlichen Kostenschätzungen abgegeben werden.
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