Martin Klopfenstein
Seit Jahren ist Vittorio Magnago Lampugnani eine der profiliertesten Stimmen einer konservativen Architektur- und Städtebauauffassung. Kolonnaden, Blockränder und viel Stein sind die Ingredienzien, aus denen seine (Stadt)träume sind. So kennt man ihn und schätzt ihn deswegen – oder schätzt ihn deswegen gerade nicht.
Eigentlich bin ich Teilen seiner Thesen durchaus gewogen. Ja, mich ärgern die billig gemachten Investorenkisten auch, gegen die er seit Jahren, was sage ich: seit Jahrzehnten anschreibt. Ja, auch ich habe ein Missbehagen gegenüber einer auf den Hund gekommenen klassischen Moderne, vor allem seit sie in banalisiertester Form Ebenen und Täler überzieht. Ja, auch ich möchte Häuser, die solid sind, mit der Fähigkeit, in Würde zu altern, statt nur schäbig und unansehnlich zu werden.
Daher müsste ich im Grunde ziemlich angetan sein von Lampugnanis neustem Streich. Dieser nennt sich Gegen Wegwerfarchitektur, Untertitel: Weniger, dichter, dauerhafter bauen. Das schmale Bändchen umfasst 128 eng bedruckte Seiten und breitet vor uns noch einmal die Lampugnani’sche Gedankenwelt zu Haus, Platz, Strasse und Landschaft aus, diesmal allerdings – kongruent zur herrschenden Diskursgrosswetterlage – mit der ökologischen Bürste gestriegelt: Urbane Dichte? War immer schon gut, braucht auch weniger Boden und verschattet potenziell heiss werdende Oberflächen. «Urbane Typen der Sparsamkeit»? Wohnungsbau à la Alfred Messel in Berlin oder die Leistungen des Roten Wien. Das «richtige» Baumaterial? Sicher nicht Beton oder Blech, auch nicht Holz, schon eher, wenn wundert’s bei Lampugnani: Stein.
Nicht-Wegwerf-Architektur, das ist, so wird beim Lesen zügig klar, die mitteleuropäische Stadt vor 1930. Tenor: Alles ist schon erfunden. Und es ist – wenig überraschend – in etwa deckungsgleich mit dem, was Lampugnani schon seit langem predigt, insbesondere in seinem Buch von 1995, Die Modernität des Dauerhaften. Nichts Neues also, sondern nur ein lauwarmer Aufguss dessen, was wir schon immer vom weit gereisten Mann aus Rom gehört haben, jetzt aber im Nachhaltigkeits-Bottich?
Nun: Tatsächlich noch nicht in dieser Form vernommen haben wir von ihm die Glaubenssätze bezüglich radikaler Beschränkung des Neu-Bauens und der «Reparatur als kategorischer Imperativ». Während er noch vor wenigen Jahren bereit war, für sein Verständnis von Städtebau notfalls die halbe Agglo zu schleifen, gelangt Lampugnani nun zur Einsicht, dass sich auch dort Brauchbares findet, das «nur» etwas modernisiert und nachverdichtet werden müsste. Immerhin.
Der Schönheitsfehler dabei: Bezogen auf sein eigenes gebautes Werk ist Lampugnani nicht gerade der berufenste Mund, was den von ihm verkündeten Um- und Weiterbauimperativ angeht. Darauf angesprochen sagte er in einem Interview mit Hochparterre: «Wir hatten bisher keine Gelegenheit.» Dass der Baubetrieb offenbar ausgerechnet einem (neuerdings) dezidierten Reduce-Reuse-Recycle-Fürsprecher die entsprechenden Aufgaben verweigert: welche bittere Ironie der Geschichte.
Die stärksten Momente hat Gegen Wegwerfarchitektur dann, wenn Lampugnani den Versuch unternimmt, den Nachhaltigkeitsdiskurs aus jener Enge zu führen, in der er bisweilen steckt. Allzu oft wird dieser von Zahlen- und Berechnungshubereien dominiert und suggeriert damit eine Genauigkeit, die – seien wir ehrlich – es so nicht gibt. Dass Lampugnani hier die historischen Bezüge von Dichte, Sparsamkeit, Nutzungsneutralität und Solidität wiederherstellt, um sie in ihre kulturgeschichtlichen Dimensionen einzubetten, ist wohltuend.
Leider taucht Lampugnani aber auch noch in andere Gefilde ein, wo er sich – mit Verlaub – weniger auskennt. Unterlegt mit einem latenten Alarmismus (Bauen als «Plage der Erde», «Plünderung des Planeten») übt er sich in Konsumismus-Schelte, indem er die von Marktgesetzen getriebene, sich schnell verbrauchende Architekturproduktion anprangert. Selbstverständlich ist Kapitalismus auch unter diesem Titel angreifbar. Aber eine solche Kritik liest man dann doch lieber bei «echten» Kapitalismuskritikerinnen und -kritikern. Erst recht dünn wird das argumentative Eis, wenn es um bauphysikalische und materialtechnologische Fragen geht. Gerechterweise ist zu sagen, dass Lampugnani schon einleitend anmerkt, dass dies ein essayistisches Werk im eigentlichen Sinn sei, das keine Ansprüche an einen wissenschaftlichen Text einlösen kann und will. Trotzdem möchte man dem Meister hie und da zurufen: Schuster, bleib bei deinem Leisten! Und ob die Unterteilung in lauter Minikapitel, deren Abfolge und Zusammenhang nicht immer ganz selbsterklärend sind, dem Ganzen einen Gefallen tut, darf mindestens bezweifelt werden.
Über eine Irritation anderer Art müssen wir auch noch reden: Dass ein Buch gegen Wegwerfarchitektur (fast) wie ein Wegwerfbuch daherkommt, ist unverständlich. Jener Anspruch an Wertigkeit, welchen der Autor von Häusern und Städten einfordert, findet sich am ehesten noch bei der Papierwahl. Sonst wurde arg gespart, insbesondere bei der Fotoreproduktion. Lust, sich so etwas ins Bücherregal zu stellen? Eher nein. Das ist schade, denn der Verlag Klaus Wagenbach, bei dem dieser Band erschienen ist, könnte auch anders.
Auf der Plusseite ist zu verbuchen, dass nun auch die Generation Z ihren Lampugnani hat. Die Frage ist bloss, ob sie so dringend darauf gewartet hat. Architektur- und Städtebau-Konservatismus ist nicht unbedingt attraktiver, wenn er uns in ökologisch aufgebrezelter Form serviert wird.
Gegen Wegwerfarchitektur
Vittorio Magnago Lampugnani
Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2023
128 Seiten, 25 Abb.
20.5 × 11 cm, broschiert
CHF 25.– / EUR 18.–
ISBN 978-3-803137-37-1