Trotzdem ostmodern

Zum Umgang mit denkmalgeschützten Bauwerken der Dresdner Nachkriegsmoderne

Von Anbeginn markant traten die baulichen Zeugnisse in Erscheinung, die inzwischen der Stilepoche »Nachkriegsmoderne« zugeschrieben werden. Mit klaren geometrischen, als Solitärbauten frei in den Stadtraum komponierten Kuben, funktionellen Grundrissen oder gerasterten Fassaden, deren serielle Fertigung zum ästhetischen Programm wurden, unterschieden sich die ab den 1960er Jahren errichteten Architekturen deutlich von den wenige Jahre zuvor noch handwerklich errichteten Bauwerken. Dass sie in Dresden vornehmlich in der Innenstadt entstanden, erklärt sich zum einen aus der Notwendigkeit, diesen am Ende des Zweiten Weltkrieges fast vollständig zerstörten Bereich wiederaufzubauen. Zum anderen zielte die Baupolitik der DDR auf eine Neugestaltung der zerstörten Innenstädte, die zwar inhaltlich und stilistisch verschiedene Phasen durchlief, aber immer beharrlich auf eine bauliche Manifestation der neuen sozialistischen Gesellschaftsordnung setzte. Als richtungsweisend hierfür galt das sowjetische Bauwesen, wobei der politisch motivierte Wandel nach Stalins Tod Mitte der 1950er Jahre den Weg für spätere Nachkriegsmoderne ebnete, indem das aufwendige traditionelle Bauen im »stalinistischen Zuckerbäckerstil« zugunsten industrieller Baumethoden aufgegeben wurde. Weil jedoch konkrete Vorgaben fehlten, wie industrielles Bauen im Ausdruck sozialistisch werden könne, blieb den Architekten und Planern ausreichend Spielraum, sich vom »International Style« inspirieren zu lassen, der das moderne Bauen aus den USA wieder zurück nach Europa brachte. In der Folge entstanden auch in Dresden zahlreiche individuell entworfene öffentliche Bauten, mit denen man vorübergehend zur internationalen Entwicklung aufschloss. Wenn überhaupt erhielten sie eine spezifisch sozialistische Ausprägung durch eine dem Gesellschaftssystem eindeutig zuordenbare bildkünstlerische Ausgestaltung, so dass nicht selten auch von »ostmodernen« Bauten gesprochen wird. Herausragende Dresdner Beispiele sind bzw. waren die Ladenpassage Webergasse, das städtebauliche Ensemble Prager Straße, der Kulturpalast, die »robotron-Kantine« oder die zeitlich später fertiggestellten Funktionsgebäude rückwärtig der Semperoper. Auch im Wohnungsbau konnten richtungsweisende Experimentalbauten realisiert werden, bevor man zunehmend auf Methoden der Standardisierung, Vorfertigung bis hin zur Typisierung setzte, was in der Ära Honecker (ab 1971) im industriellen Massenwohnungsbauten mündete und noch vor 1990 zuweilen auch öffentlich kritisiert wurde.

Die Ostmoderne - Dresdens fast verlorenes Erbe

Nach dem Mauerfall nahm die Ablehnung der markanten Solitärbauten und Ensembles der Ostmoderne zu. Sie galten als hässlich, ahistorisch und nicht auf Dauer angelegt, städtebaulich überdimensioniert und einem urbanen innerstädtischen Treiben entgegenstehend. Zugleich erschien die Anpassung an zeitgemäße Standards oder brandschutztechnische Anforderungen als nahezu unmöglich. Diese Vorurteile waren kein ostdeutsches Phänomen, sondern auch über die Grenzen der neuen Bundesrepublik hinaus zu beobachten. Sie wog nur in den neuen Bundesländern schwerer, weil dort das bauliche Erbe mit dem endlich überwundenen politischen System in Verbindung gebracht wurde. Neben politischen Denkmälern oder Wandgemälden verschwanden in den nachfolgenden Jahren auch identitätsstiftende Gebäude mit einmal mehr, einmal weniger lautem öffentlichen Protest. Mehr noch als die Abrisse führte z.B. die von marktwirtschaftlichen Interessen getriebene Nachverdichtung der Prager Straße oder die unsachgemäße Fassadensanierung des »Hauses der Presse« zu unwiederbringlichen Verlusten von baukünstlerisch qualitätvollen Zeugnissen der DDR-Zeit. Die kritische Bewertung der Architektur der Ostmoderne verstärkte sich durch die nachgeholte Auswertung der ersten Aufbauphase nach dem Krieg, in der in Dresden ideologisch bedingt zahlreiche wiederaufbaufähige Ruinen von bemerkenswerten Baudenkmalen abgerissen wurden, wenngleich moderne Großbauten an ihre Stelle oftmals erst viele Jahre später traten. Anfang der 2000er Jahre war die noch originalgetreu erhaltene Bausubstanz der Ostmoderne in Dresden inzwischen stark minimiert. Die damit verbundenen Verlusterfahrungen führten allmählich zur Neubewertung der Stilepoche.

Der Kulturpalast. Die kulturelle Mitte der Stadt

Die in der Stadtgesellschaft kontroverseste Auseinandersetzung um seinen Erhalt ward dem Kulturpalast zuteil. Er ist Prestigebau der Dresdner Nachkriegsmoderne und wurde unter Leitung von Wolfgang Hänsch 1969 als Kulturhaus an der Nordseite des Dresdner Altmarktes fertiggestellt. In der Gestalt als flacher, sachlich-moderner Kubus mit Dachkrone und weitgehend transparenter Gebäudehülle ausgebildet. Seine funktionale Besonderheit bildete ein mittig gelegener, unregelmäßig sechseckiger Mehrzwecksaal mit einer eleganten, sachlichen Ausgestaltung und einem speziell für das Gebäude entwickeltem Kipp-Parkett, das vielfältigste Nutzungen des Raumes zuließ. Mit ihm erlangte die Architektur der DDR neue Qualitäten und wurde entsprechend begeistert angenommen. Etwa 30 Jahre später war er jedoch nach jahrzehntelang intensiver Nutzung in die Jahre gekommen und dringend sanierungsbedürftig. Zuvor waren Versuche gescheitert, den Mehrzwecksaal akustisch so zu ertüchtigen, dass er den Ansprüchen eines erstklassigen Konzertsaals hätte gerecht werden können. Abriss und Totalumbaupläne wurden jahrelang hitzig diskutiert, die mit der 2008 erfolgten Eintragung des Gebäudes in die Denkmalliste verhindert werden konnte. Als erhaltenswert galt die städtebauliche Idee, die nach einem Entwurf von Leopold Wiel gegen den Widerstand der DDR-Ideologen nicht zu einem die historische Stadtsilhouette dominierenden Hochhaus, sondern dem markanten Flachbau führte. Auch das sich zum Altmarkt öffnende Hauptfoyer sowie einzelne Ausstattungselemente wurde unter Schutz gestellt. Der mit seinem gefalteten Kupferdach städtebaulich wirksame Saal wurde jedoch nur als Hülle unter Schutz gestellt, um hier einen neuen, dringend benötigten Konzertsaal einbauen zu können. Nahezu zeitgleich wurde daher ein Wettbewerb ausgeschrieben, den das Architekturbüro Gerkan, Marg und Partner (gmp) verdient mit der Neukonzeption des Saales nach dem Typus »Weinberg« gewann, eine Maßnahme, die Wolfgang Hänsch noch mit einer Urheberrechtsklage abzuwenden versuchte. Ungeachtet aller sich einmal mehr am Kulturpalast aufheizenden Kontroversen, wie und ob Bauten der Ostmoderne ertüchtigt werden können, gelang es gmp bei der Realisierung ihres Konzepts, die denkmalgeschützte Bestandsarchitektur fortzuschreiben. So wurden die Fassaden wieder weitgehend in den Ursprungszustand von 1969 versetzt und zugleich energetisch ertüchtigt. Das Hauptfoyer wurde weitgehend originalgetreu saniert. Einst gestaltprägende Ausbauelemente wie z.B. die markante Deckeneinbauten der Studiobühne und des Chorprobensaales konnten selbst in die für die Nutzungserweiterung umzugestaltenden Bereiche integriert werden. Ohne Anklänge an das vergangene Alte präsentiert sich dagegen selbstbewusst der neue Konzertsaal hell und dynamisch, der in den denkmalgeschützten Gebäudekern integriert wurde. Mehr noch als mit der erstklassigen Akustik seines Saal überzeugt die von gmp verantwortete Neukonzeption des Kulturpalasts als gemeinsamer Ort für die Dresdner Philharmonie, die Städtische Zentralbibliothek und das Kabarett »Herkuleskeule«, so dass ein neues Miteinander für Kultur, Bildung und Unterhaltung in einem konzeptionell offenen Haus entstand.

»semper zwei«. Die Umnutzung des Gastronomiegebäudes der Semperoper zur Studiobühne

Vergleichsweise leise vollzog sich dagegen die Umnutzung des Gastronomiegebäudes zur neuen Studiobühne der Semperoper, für die das Architekturbüro Meyer-Bassin und Partner bis 2016 verantwortlich zeichnete. Das Gebäude selbst war 1984/85 im Rahmen des Wiederaufbaus der Semperoper wieder unter Leitung von Wolfgang Hänsch als eines von drei Funktionsbauten rückwärtig des Opernhauses entstanden, die durch verglaste Brücken untereinander und mit dem Vorstellungshaus auf der Bühnenebene verbunden sind. Seit 2010 leerstehend bzw. nur noch geringfügig hausintern genutzt, bot das Haus das notwendige Flächenpotential, um in ihm eine Studiobühne als neue Spielstätte für innovative, zeitgenössische Projekte der Staatsoper zu etablieren. Es gehört zum Konzept von Meyer-Bassin und Partner, das äußere Erscheinungsbild des denkmalgeschützten Ensembles zu erhalten und seine ausgewogene Komposition nicht durch einen weiteren Ergänzungsbau zu negieren oder den wohlproportionierten Baukörper nachträglich aufzustocken. Das bedeutete, dass die Studiobühne ohne Eingriffe in die Fassade in den oberen Geschossen des Gebäudes integriert und somit die sich ursprünglich im 2. Obergeschoss befindende Kantine ins Erdgeschoss verlegt werden musste. Gestaltprägende Ausstattungselemente wie die Speisenausgabe mit ihrer Vertikal-Schiebeladenanlage zogen mit um, wurden an die neue Raumsituation angepasst und vereinen sich mit neuen, farblich akzentuierten Möbeln zu einem neuen Ganzen. Zudem zog das Vorhaben auch massive Eingriffe in die Gebäudestruktur nach sich, da ein neues Tragwerk für die Studiobühne sowie eine neue Treppenanlage für die Erschließung voneinander unabhängiger Funktionseinheiten notwendig wurde. Soweit es möglich war, wurde beim Umbau behutsam Material geborgen, um es an anderer Stelle wiederverwenden zu können. Zurück blieben damit keine zu Fugen stilisierten Narben im Gebäude, sondern ein im Inneren durch neue Einbauten ergänztes Haus, die sich mit dem vorgefundenen Bestand harmonisch verbinden. In dieser Weise erhielt auch die flexibel bespielbare Studiobühne einen unverwechselbaren Charakter, da der Raum an drei Seiten von originalen Glasfassaden begrenzt wird, die einen einmaligen Blick in den Zwingergarten zulassen und nur während der Aufführungen von lichtdichten, akustisch wirksamen Vorhängen verdeckt werden.

Lost place? Die »robotron-Kantine«

Mit einer jüngst bei der Stadt Dresden eingegangenen Großspende zeichnet sich auch für die seit Jahrzehnten zusehends verfallende robotron-Kantine letztlich eine positive Wendung ab. Einst als Betriebsgaststätte für den Hauptsitz des »VEB robotron« von den Architekten Herbert Zimmer, Peter Schramm und Siegfried Thiel 1969-72 errichtet, kamen in dem Gebäude Kunst und Architektur programmatisch zusammen. Denn nach Außen zelebrierte das flache Pavillongebäude optische Leichtigkeit mit großen Glasflächen und im spannungsvollen Wechsel mit kleinteiligen türkisfarbenen Mosaikfliesen verkleideten Außenwänden. Die gestalterische Qualität steigerte eine umlaufende Freitreppe, deren Brüstungselemente aus Beton der bekannte Dresdner Künstler Friedrich Kracht schuf und mit ihnen geradezu meisterhaft eine abstrakte Formgebung von architekturbezogener Kunst realisierte. Trotz erstklassiger Lage unweit des Rathauses und des Deutschen Hygienemuseums fristete das seit 2002 seiner ursprünglichen Nutzung beraubte und für nachfolgende Nutzungsänderungen überformte Haus lange ein von Verfall und Vandalismusspuren gezeichnetes Schattendasein. Erst als 2017 der Abriss des Gebäudes längst beschlossen war, erfolgte eine Neubewertung des Gebäudes und konnte durch das Engagement der Stadtgesellschaft sowie des Netzwerks ostmodern letztlich gerettet werden. Parallel dazu wies das Kunsthaus der Stadt Dresden mit einem Nutzungskonzept nach, dass das Gebäude zu einem neuen Standort der Galerie für zeitgenössische Kunst der Museen der Stadt Dresden und Labor der Gegenwart entwickelt werden könne. Seit wenigen Jahren wird das unsanierte, für die interimsmäßige Nutzung nur sporatisch hergerichtete Gebäude bereits als Kunstraum genutzt und wartet das seine einstige Funktionalität und auf Transparenz angelegten Offenheit wieder zu Tage treten kann.

Susann Buttolo (1978), Architekturstudium und Promotion zum Thema Nachkriegsmoderne in Dresden, 2003 – 22 Ausstellungs-, Film- und Buchprojekte sowie Architekturvermittlung an sächsischen Schulen, seit 2022 Geschäftsstellenleiterin im Grossen Garten Dresden.

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