Leserbrief zu Annette Spiros «Baum gesucht», in: wbw 7/8–2022
Annette Spiro postuliert in ihren tiefgreifenden Überlegungen die Koexistenz von Haus und Baum. So schreibt sie unter anderem: «Wenn ich ein einziges Baugesetz erlassen dürfte, wäre es so einfach wie streng: Wer ein Haus baut, muss daneben einen stattlichen Baum pflanzen.» Dem, wie auch den weiteren Ausführungen, kann nur zugestimmt werden.
Gerne würde ich in diesem Zusammenhang auf ein Objekt hinweisen, welches – avant la lettre – in umfassendem Sinne den von der Autorin gesetzten Prämissen folgt. Es handelt sich dabei um die Kantonsschule Freudenberg in Zürich, welche nicht nur zu den Inkunabeln des modernen Schulhausbaues gehört, sondern auch ein Zeugnis des überaus sorgfältigen und konsequenten Umgangs mit einem historischen Baumbestand darstellt. Die wesentlichen Aspekte dazu wurden 1992, in der herausragenden Baumonografie zum Freudenberg, sehr detailreich aufgearbeitet.1
Im seinem Wettbewerbsbericht von 1954 erläuterte Jacques Schader die generelle Wettbewerbsidee und die darin fussende Wertschätzung des historischen Baumbestandes:2 «Das Projekt versucht unter möglichster Beibehaltung der bestehenden Geländeverhältnisse und Schonung des Baumbestandes den einzigartigen Parkcharakter des Freudenberg - Areals zu erhalten. Das Gelände sollte weiterhin in seiner Gesamtwirkung als Kuppe voll zur Geltung kommen können; seine Grosszügigkeit und einfache räumliche Erfassbarkeit sollen nicht durch hohe, das Areal teilende und verunklärende Gebäuderiegel gestört werden. Diese Überlegungen führen dazu:
1. in der Gesamtdisposition auf die Erhaltung der wesentlichen Baumgruppen Rücksicht zu nehmen und soweit wie möglich die vorhandenen Höhendifferenzen des Geländes auszunützen.
2. die Hauptbaumassen so niedrig zu halten, dass die Silhouette der Baumkronen und damit diejenige des gesamten Hügels unverändert bleibt.
3. die übrigen Baumassen in einem flachen Gebäudekranz zusammenzufassen und unterhalb der Geländekuppe anzuordnen. Dadurch können auf diesen Flachbauten gleichzeitig auch die für einen Schulbetrieb nötigen Verkehrs - und Pausenflächen geschaffen werden, ohne dass das übrige Parkgelände für solche Zwecke beansprucht werden muss.
4. die verschiedenen Zugangswege zu den Gebäuden werden zwanglos – den jeweiligen Terraingegebenheiten und Baumgruppierungen entsprechend – durch den Park geführt ... »
Jacques Schader bleibt auch in der Ausführungsphase seiner Projektidee treu. Mittels Fot omontagen, unzähligen Studien und Arbeitsmodellen werden die präzise Setzung der Baukörper, die Umgebungsgestaltung mit der Ergänzung des bestehenden Baumbestandes sowie die genaue Lage der Erschliessungswege festgelegt. Dies führte soweit, dass Erschliess ungsrampen um bestehende Bäume herum betoniert werden mussten.
Die kongeniale Umsetzung des Ausgangsthemas – dem Bauen mit Bäumen, respektive dem Bauen im Park – dürfte in seiner Konsequenz und Radikalität für die frühen 1950er Jahre in der Schweiz beispiellos sein. Das innige Miteinander von Park und Gebäuden lässt sich, vor Ort, noch heute problemlos verifizieren. Darum würde ich gerne den Baugesetzvorschlag von Annette Spiro, «Wer ein Hausbaut, muss daneben einen stattlichen Baum pflanzen», durch folgenden Zusatz ergänzen: Der stattliche Baumbestand, der sich auf dem Bauplatz befindet, ist weitestgehend zu erhalten.
1 Marianne Burkhalter, Michael Koch, Claude Lichtenstein, Tomaso Zanoni: Freudenberg. Der Architekt Jacques Schader und die Kantonsschule in Zürich-Enge; Hg.: Museum für Gestaltung Zürich / Schweizerischer Werkbund, Zürich 1992
2 Jacques Schader, Wettbewerbsbericht 1954, Archiv des Architekten, zitiert nach 1