Supermarkt der Ideen

Am Ende der Hauptausstellung der diesjährigen Architekturbiennale (vgl. den ausführlichen Bericht im aktuellen Heft wbw 7/8–2023) sollte man noch etwas Aufnahmefähigkeit übrig haben, um die Länderpavillons zu besuchen, die dort untergebracht sind. Einfach macht es einem dabei der lettische Pavillon, der als Supermarkt der Ideen die letzten 10 Biennalen (seit 2002 ist Lettland Teil der Biennale), beziehungsweise die Themen der teilnehmenden Länder, als farbenfrohe Produkte eines fiktiven Supermarkts präsentiert, die um die Aufmerksamkeit der Besuchenden buhlen. Die sorgfältig und freudvoll gestalteten Produkte aus Pappe sind mithilfe von künstlicher Intelligenz designt worden. Mit den entsprechenden Schlagworten beschriftet, rufen sie die Themen der vergangenen Schauen in Erinnerung. Dabei sucht man vielleicht nach seiner ersten Biennale oder den siegreichen Beitrag der Schweiz vor vier Jahren (eine Weinflasche) und erinnert sich an missglückte Beiträge.

Zugleich fragt man sich beim Ausgang aus dem Supermarkt vielleicht: und jetzt? Was nehme ich mit? Auf jeden Fall mehr als nur einen Pop-Art-Moment und einige Minuten Spass (wenngleich das auch schon genug ist). Und ohne zu viel Interpretation hineingeben zu wollen: An der Biennale hetzt man zuweilen durch die verschiedenen Pavillons, als wäre man in einem Supermarkt kurz vor Ladenschluss. Schnell muss entschieden werden, was gut ist, insbesondere an den Preview-Tagen will das Urteil schnell gefällt und verkündet werden, dabei haben auch gewisse nationale Beiträge viel mehr Tiefe, als dass man rasch darüber urteilen könnte. Das trifft dieses Jahr auch auf die Hauptausstellung von Lesley Lokko zu – insofern ist der Supermarkt der Ideen eine ansprechend visualisierte, witzige und dabei schnell zu konsumierende Art und Weise, dieses Thema zu visualisieren. Oder ein Hinweis, sich Zeit zu nehmen.

Apropos Zeit: wer es nicht mehr an die Biennale schafft (die noch bis zum 26. November stattfindet), dem sei ein Besuch auf der Seite zum lettischen Pavillon empfohlen, der auch ein fiktiver Online-Shop ist, in dem alle 506 Produkte in aller Ruhe begutachtet werden können.

— Jenny Keller
© Toms Kampars. Der lettische Pavillon an der Biennale in Venedig ist ein Supermarkt der Ideen.
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