Fern der sinnentleerten Ästhetik

Die Innenarchitektin und Werk-Autorin Verena Huber erhält den Schweizer Grand Prix Design. Neben der «Stilikone» Susanne Bartsch und dem Fotografen Beat Streuli wird Verena Huber in diesem Jahr von der Eidgenössischen Designkommission geehrt. 1938 in Basel geboren, lebt sie seit 60 Jahren in Zürich und verfolgt nach wie vor eigene Projekte, obwohl sie ihr Büro vor 20 Jahren geschlossen hat. Ihre ausufernde Neugierde ist ihr Motor. Und so hat sich nie ausschliesslich auf die Innenarchitektur konzentriert, sondern hat immer schon geforscht, gelehrt oder internationale Verbände mitgestaltet. Prägend ist ihr Blick über die Grenzen der Disziplin hinaus. Mit diesem hat sie auch zahlreiche Beiträge für das Werk und später werk, bauen + wohnen verfasst.

Zwischen 1973–75 war sie feste redaktionelle Mitarbeiterin beim Werk und hat die Zeitschrift mit ihrer nonkonformen Herangehensweise bereichert. Neben der Rubrik «Innenarchitektur und Design» hat sie auch Heftausgaben mitkonzipiert, und war beispielsweise für die schöne Nummer «Gesicht der Strasse» (werk 6–1975) mitverantwortlich. In Erinnerung bleiben auch ihre Berichte aus Osteuropa. Sie schrieb über die aufstrebende georgische Hauptstadt Tiflis (wbw 4–2017), oder bislang unbekannte Interieurs von Adolf Loos in Pilsen (wbw 6–2016). Neu verfassen müsste sie angesichts der Weltlage wohl ihr Porträt junger Architekturschaffender in Kiew (wbw 9–2015).

Als Gestalterin hat sie Restaurants, Schiffe, Bibliotheken, Wohnhäuser, beispielsweise bei einer Renovation das Schwesternhochhaus für das Zürcher Universitätsspital des Architekten Jakob Zweifel, eingerichtet. Das Wohnen und die Wohnkultur liegen Verena Huber am Herzen. Sie versteht das aber nicht im Sinne des schrillen Designs, sondern im Sinn von Prozess und Alltag. Dabei ist ihr stets das Soziale der Gestaltung wichtig, neben den Aspekten des Machens und Brauchens. Verena Huber habe sich in ihrer gesamten Schaffenszeit «von sinnentleerter Ästhetik und Konformität in jeder Hinsicht» ferngehalten, so Jörg Boner, Präsident der Eidgenössischen Designkommission, zur Preisbegründung.

Beim Reisen fanden viele ihrer Fähigkeiten zusammen, beispielsweise 2006 zum Projekt «Türen auf» (www.tuerenauf-heute.ch), über das Wohnen in verschiedenen Ländern des Ostens im Vergleich zur Schweiz. Die Schau mit vielen Beteiligten wanderte durch Belarus, Lettland, Rumänien, Russland und die Slowakei. Mit diesen Erfahrungen als Vermittlerin initiierte Verena Huber 2014 das Forschungsprojekt «Dazwischen – von der Wohnungstür zur Trottoirkante» (www.dazwischen.org), über das heute noch aktuelle Thema der Schwellenräume im Wohnumfeld. Ihre jüngste Initiative gilt dem «Archiv Innenarchitektur Schweiz» (www.ai-s.ch), das sie 2021 mitgegründet hat. Durch ihre Idee, dass Interviews das Archiv begleiten, wird die darin aufbewahrte Sammlung lebendig erhalten.

Die Verleihung des Preises erfolgt mit einer Ausstellung über Verena Hubers Schaffen und den Positionen der Swiss Design und Art Awards während der Art-Basel-Woche am 14. Juni 2022. Schon tags zuvor vergibt das Bundesamt für Kultur den Grand Prix Kunst an Caroline Bachmann und Klodin Erb sowie den Prix Meret Oppenheim an die Bauingenieure Jürg Conzett und Gianfranco Bronzini.

— Roland Züger
© Diana Pfammatter / BAK
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