Wiederverwendung als Gegenkultur

Bluefactory heisst das neue Innovationsviertel entlang der Gleise beim Bahnhof Freiburg. In den Gebäuden der ehemaligen Brauerei Cardinal wimmelt es von Aktivitäten. Eine der Hallen teilt sich die Ressourcerie mit anderen Mietern. In diesem riesigen, eiskalten, überfüllten, aber offensichtlich planvoll eingerichteten Raum ragt ein 30 Quadratmeter grosser Pavillon aus dem Halbdunkel heraus. Er leuchtet wie eine Laterne. Vollständig aus wiederverwendeten Materialien errichtet, dient das Demonstrationsobjekt als Versammlungsort für die Ressourcerie. Deren Team wurde als Verein im April 2021 gegründet und hat sich zum Ziel gesetzt, die Ressourcenverschwendung in der Baubranche zu reduzieren und die Wiederverwendung von Baumaterialien zu fördern. Der Verein besteht derzeit aus etwa zehn Personen, die in den Bereichen Bauwesen, Kultur und im Sozialbereich tätig sind und deren sehr unterschiedliche Talente sich ergänzen.

Mit ihrer Arbeit und ihrem Einsatz bieten die Mitglieder der Ressourcerie eine Lösung für ein dringliches Problem, weswegen ihr der BSA-Romandie den diesjährigen Preis verleiht.

Passender Zeitpunkt

Das Interesse an solchen Vorhaben und das Bewusstsein für deren Notwendigkeit sind offensichtlich angesichts der horrenden Abfallproduktion im Bauwesen. Die Mitglieder der Ressourcerie bringen es auf den Punkt: Bei der Wiederverwendung von Gegenständen oder Materialien und deren Aufwertung statt Entsorgung wird – im Gegensatz zum Recycling – so wenig Energie wie möglich verbraucht.

Gemeinsame Anliegen der Protagonisten führten zur Gründung des Vereins. «In meiner täglichen Arbeit als Architekt», erklärt Valerio Sartori, einer der Gründer der Ressourcerie, «werde ich immer wieder mit den schädlichen Folgen des Wachstums konfrontiert – eine unhaltbare Situation, in die wir uns hineinmanövriert haben. Ich sehe ständig Container mit Materialien, die entsorgt werden müssen, und das schockiert mich immer wieder aufs Neue. Was uns von der Ressourcerie eint, ist der Wille zu einer Neuorientierung, einer glaubwürdigen Alternative für ein effizientes Wirtschaftsmodell. Wir müssen darauf achten, dass wir nicht in die heimtückischen Fallen des Greenwashings tappen. Momentan fehlt uns noch eine sinnvolle und auf allen Ebenen funktionierende Wiederverwertungskette. Daran arbeiten wir.»

Als kollektives, transdisziplinäres und meistens freiwilliges Projekt erwächst die Ressourcerie zur richtigen Zeit am richtigen Ort: Im Sommer 2021 wurde Cirkla gegründet, der Dachverband der Wiederverwendungsbranche in der Schweiz. Darin werden die verschiedenen Bemühungen in der Branche strukturiert, koordiniert und sichtbar gemacht. Weitere «Ressourcerien» sind derzeit im Aufbau, zum Beispiel nimmt in Yverdon ein ähnliches Projekt Gestalt an. Mit Matériuum, einem Verein aus Genf, der laut eigenen Angaben «die Wiederverwendung in den Bereichen Bau und Kultur in der Westschweiz fördert und erleichtert», hat die Ressourcerie Freiburg die Zusammenarbeit aufgenommen.

Wert von Material und Arbeit

Die Struktur der Ressourcerie soll schlank bleiben und die Arbeit ehrenamtlich, doch die Mitglieder zeigen sich überzeugt und engagiert. Die komplexe Tätigkeit erweist sich als ebenso spannend wie anspruchsvoll. Sie erfordert ein Training on the Job und beinhaltet viele Facetten: Koordination von Projekten, Personen und Aufgaben, die Organisation von Netzwerken zur Beschaffung, Lagerverwaltung, Demontage, Kommunikation und Preisgestaltung...

Dabei stellen sich viele Fragen: Was ist der Wert von Material, was der Preis von Arbeit? Und wie kann man den Kurs halten, ohne zu scheitern, wenn man Arbeit, die Geld einbringt, klar von der Arbeit, die den Wandel hin zu einer Kreislaufwirtschaft bewirkt, trennt? Schliesslich war das der Antrieb für das Projekt Ressourcerie.

Als Ort des kontinuierlichen Lernens hört die Ressourcerie nicht auf, zu experimentieren und zu erfinden und passt sich ständig den jeweiligen Aufgaben an. Das Unternehmen hat Glück, dass es zumindest temporär mit der alten Brauerei-Halle über ein sehr geeignetes Lokal verfügt, bis sich in der Stadt ein fixer Standort mit 400 Quadratmetern und hohen Decken finden lässt.

Ein weiterer Glücksfall ist die Zusammenarbeit mit Vereinen wie Sous-marin Jaune, der Hallennachbarin, einer öffentlich zugänglichen Holz- und Metallwerkstatt. Hinzu gesellen sich Espace-Temps, ein Zusammenschluss von Fachleuten und Freiwilligen aus den Bereichen Kultur, Gastronomie, Architektur, Gemüseanbau und sozialer Arbeit sowie mit Reper eine Institution, die sich in der Jugendarbeit für die Gesundheitsförderung einsetzt. In ihren Anfängen war die Ressourcerie zunächst damit beschäftigt, auf das Thema Wiederverwendung aufmerksam zu machen, die Halle als Arbeitsort am Leben zu erhalten und ihr Lager zu füllen. Danach wurden bedeutende Projekte wie die Tablançoire, ein Stadtmöbel für den Domino-Park in Freiburg, umgesetzt, das aus vor Ort wiederverwendeten Materialien hergestellt wurde. Ein anderes Vorhaben war die Grossküche von Bio26, dem ersten Laden in der Stadt, der Bio-Lebensmittel aus lokalen Produkten anbietet. Heute sind die Anfragen und Aufträge ganz unterschiedlicher Natur.

Grosse Erwartungen

Holz, Balken, Bretter, Sanitär- und Elektrogeräte, Segel von Schiffen: Die Ressourcerie sammelt Materialien, klassifiziert und ordnet sie und bringt sie dank einer durchdachten Szenografie in der Halle zur Geltung. Die Mitglieder des Vereins sind ständig unterwegs auf Bauteiljagd oder werden von Privatpersonen, Handwerkerinnen, Architekten und Designerinnen aufgesucht. Letztere sind aufgerufen, sich das Know-how der Wiederverwendung anzueignen, um zum Beispiel Konstruktionen oder Objekte herzustellen, die zerlegt und wiederverwendet werden können. Und vor allem sollen sie dazu angeregt werden, kreativ mit dem Vorhandenen umzugehen, statt abzureissen und neu zu bauen.

Da sich der Verein für eine partizipative Führung entschieden hat, organisieren sich die Mitglieder in Arbeitsgruppen, mit jeweils einer Person, die für die Koordination zuständig ist und über Entscheidungsgewalt verfügt. Im Auftrag der Hochschule für Technik und Architektur Freiburg (HEIA) übernahm Benoît Beurret, soziokultureller Stadtplaner und Mitbegründer der Ressourcerie, die Demontage der Fassade der Polynorm-Halle (ehemals Cafag) in Freiburg. An der Spitze einer Gruppe von Jugendlichen aus dem Nachbarprojekt Reper und unterstützt von einem Netzwerk von Handwerkerinnen und Handwerkern übernahm er eine besonders heikle Baustelle, die sowohl experimentell war als auch der Forschung diente: Die Polynorm-Struktur, die letzte bestehende ihrer Art in der Schweiz, konnte bei ihrer Demontage durch die Studierenden und Forschenden der HEIA untersucht werden. Beim Gesamtprojekt waren Beweglichkeit und Präzision gefragt, wie Beurret erklärt: «Aufgrund der vielen Unbekannten war das ein finanziell riskanter Auftrag, und gleichzeitig ein besonders interessanter, da es für die Forschenden der HEIA darum ging, verlorenes Wissen wiederzuentdecken.»

Dieses Beispiel zeigt eindrücklich: In der Ressourcerie in Freiburg knüpft man an jahrtausendealte Praktiken an, die durch die Industrialisierung in Vergessenheit gerieten. «Wir streben eine Revolution der Arbeitsweisen an», heisst es bei der Ressourcerie. Der grosse Wandel in der Baukultur kommt in Bewegung und die Erwartungen sind enorm.

— Lorette Coen

Ressourcerie
Bluefactory/Pass. du Cardinal 1, 1700 Freiburg
Öffnungszeiten: Di 18 – 20 Uhr, Sa 10 – 14 Uhr
www.la-ressourcerie.ch


Aktuelle Mitglieder
Charlotte Astaes, Benoît Beurret, Jörg Bosshard, Sandy Erlebach, Max Ferret, Camille Habets, Fiorenzo Gamba, Amaya Immer, Thibaut Judalet, Ugo Masnada, Laura Ricklin, Kevin Salvi, Valerio Sartori, Michia Schweizer, Raoul Vallat, Adrien Zeender

© Die Mitglieder des Vereins vor ihren erbeuteten und gesammelten Bauteilen. Bild: Francesco Ragusa
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