Article de la 12–2024

Die Vergänglichkeit aufheben

Drei Projekte in Santiago de Compostela am Rio Sarela

Juan García Millán, Luis Díaz Díaz (Bilder)

Die Auseinandersetzung mit den immateriellen Eigenschaften des Ortes und den Qualitäten bestehender Strukturen nimmt eine zentrale Rolle im Werk Víctor López Cotelos ein. Am Rand der galicischen Hauptstadt bildeten Ruinen aus Stein die Grundlage für Interventionen mit hoher architektonischer Dichte.

In seiner langen Karriere hat Víctor López Cotelo fast im Stillen ein hochwertiges Œuvre architektonisch dichter und raffinierter Bauten geschaffen, aber auch eine Handvoll exquisiter Eingriffe in Gebäude und Zusammenhänge, die stark von der Geschichte oder der Landschaft geprägt sind – seien sie nun von grossem Wert als Monument oder von bescheidenem Charakter. All dies macht López Cotelo zu einer unverzichtbaren Referenz in der spanischen Architektur der vergangenen Jahrzehnte. Seine in den letzten 30 Jahren entstandenen Arbeiten in Santiago de Compostela fassen auf brillante Weise fast alle seine Interessen zusammen, die bereits in seinen frühen Projekten durchscheinen, wie dem kleinen Rathaus von Valdelaguna oder der öffentlichen Bibliothek von Saragossa, die wahrlich beispielhaft sind.

Integrierte Vielfalt

Peripher, aber dennoch in der Nähe des historischen Zentrums gelegen, belebten diese Massnahmen obsolet gewordene Baustrukturen in einer zersiedelten Landschaft mit ihren spezifischen ökologischen und sozialen Bedingungen wieder. Es sei daran erinnert, dass Santiago de Compostela neben Jerusalem und Rom eines der drei grossen Zentren der christlichen Pilgerschaft ist. In der romanischen Kathedrale der Stadt befindet sich das Grab des Apostels Jakobus des Älteren, und es ist der Endpunkt des Jakobswegs.

In seinen Projekten wird deutlich, dass López Cotelo die Architektur als Definition, Strukturierung und Integration von Bestehendem und Neuem versteht: als Akt der Neugründung. Die Strategie besteht stets darin, die ursprüngliche komplexe Vielfalt unter einem vereinheitlichenden Konzept zu integrieren, um ein kohärentes und kongruentes Ergebnis zu erzielen. Eugène Viollet-le-Duc, einer der Väter der Restaurierungstheorie, stellte fest, dass ein Gebäude zu restaurieren nicht bedeutet, es zu pflegen, zu reparieren oder neu zu errichten, sondern es vollständig in einen Zustand zu versetzen, den es vielleicht zu keiner Zeit gegeben hat.

Zwei der fünf realisierten Werke in Santiago sind vergleichbare Eingriffe in ehemalige Industriebrachen. Die Natur ist dort stark präsent: das sonore Fliessen des Rio Sarelas, der Wind, der die Äste der hohen Bäume wiegt und das Gesicht streichelt, das Moos, das die Steine bedeckt und der Efeu, der die Mauern überwuchert, die Fussabdrücke auf dem Weg ... Die Geschichte sammelt sich in der Gegend und es gibt historische Überreste aller Art: Mittelalterliche Bauten sind in diesem Wallfahrtsort reichlich vorhanden, Fabrikgebäude aus dem 19. Jahrhundert und Bauernhäuser aus verschiedenen Epochen. Die Interventionen lösten das Amalgam aus Geschichte, Bauwerken und Räumen auf und gaben ihnen einen neuen Nutzen.

Industriebrachen am Rio Sarela

Die Revitalisierung des Gerbereiareals Puente Sarela war das erste ausgeführte Projekt. Nach einer Brücke durchquert eine der Strassen nach Santiago das Grundstück in Längsrichtung. Das Gerbereigebäude, das sich hier im untersten, feuchtesten und lichtärmsten Teil des Grundstücks befindet, blieb als Zeitzeuge erhalten, denn die neuen Wohnräume wurden nicht in diese Ruine eingefügt. Für die neuen Bauten nutzte man die höhergelegene bebaubare Fläche. Die Eichenrindenmühle wurde wieder hergestellt und nimmt das Zentrum des Hofes ein, der zu den Wohnungen führt. Auch die Becken zum Gerben von Fellen blieben als weiteres Zeichen der Identität des Ortes erhalten. Die Neubauten wurden auf dem sonnigen Hang platziert, der mit Mauern entlang der Höhenlinien strukturiert ist. Diese verlaufen quer zu den bestehenden Mauern auf dem Gelände, so dass komfortable Terrassen entstehen. Die verschiedenen Bestandteile des Areals sind als Teil der Landschaft zwischen und in diese Mauern eingebettet: die Garage, das Haus des Bauherrn (heute Seminarhaus), die beiden Gästehäuser weiter unten.

Orte historisch lesen

Die ehemalige Gerberei in Pontepedriña de Arriba ist ein gutes Beispiel für eine enge und gute Zusammenarbeit zwischen der Bauherrschaft und den Planungsbehörden. Ursprünglich war ein Kongresszentrum vorgesehen, das später durch eine Berufsschule ersetzt wurde. Der Wechsel des Programms bedeutete jedoch keine Änderung der Lektüre des Ortes. Es handelt sich um eine im 18. Jahrhundert errichtete Produktionsstätte und im darauffolgenden Jahrhundert erweiterte Industrieanlage, die ebenfalls am Rio Sarela und in der Nähe einer mittelalterlichen Brücke, eines Brunnens und Waschhauses liegt. Der ursprüngliche industrielle Charakter prägt auch die Identität der jetzigen Einrichtung: Die Typologie der neuen Giebelpavillons der Werkstätten ist die gleiche wie die der Hallen der alten Fabrik. Die Bodenbeläge setzen das Neue mit dem Bestehenden in Beziehung, die gewählten Materialien oszillieren je nach Lage und Qualität zwischen dem Vernakulären und dem Technologischen. Die Grösse der Fenster zeigt den Charakter des Gebäudes, denn für López Cotelo sind die Öffnungen Schlüsselelemente, in denen sich grundlegende Aspekte der Disziplin konzentrieren. Sie bringen das Ferne und das Nahe, das Äussere und das Innere, das Leere und das Volle, die Idee und das Material zusammen und definieren die architektonische Qualität eines Bauwerks. Der Eingriff selbst wird so auch zu einem didaktischen Beispiel für die Lehrlinge der Schule für Kunst- und Bauhandwerk.

Stadtränder reparieren

Die anderen drei Bauten und Ensembles in Santiago dienen Wohnzwecken und liegen auf Grundstücken, die früher keine geplante Bebauung hatten. So konnten bestehende lose Räume und zufällige Strukturen neu artikuliert werden. Bei den Wohnhäusern in Vaquería Carme de Abaixo scheute sich der Architekt nicht davor, Elemente zu integrieren, die einander fremd sind. Für die Umsetzung des Raumprogramms machte er sich die pittoreske Anmutung der gewachsenen Umgebung, die Kraft der Topografie und die Bäume am Flussufer des Rio Sarela zunutze. Die neu angelegten Hänge, Höfe, Treppen, Terrassen und Durchgänge strukturieren das vormals karge und unregelmässige Gelände. Sogar eine geplante Strassenführung wurde zugunsten einer effizienteren Lösung geändert. Dies ermöglichte einen öffentlichen Garten im Herzen des privaten Grundstücks, der die Atmosphäre des Ortes prägt. Das grösste Gebäude mit einem für die Gegend ungewöhnlichen Mansarddach wirkt als Dreh- und Angelpunkt, um den sich die anderen Bestandteile des Projekts gruppieren. Dahinter, leicht zurückgesetzt, befindet sich eine Wohnzeile, die in ihrem rückwärtigen Bereich kammförmig Brücken zum gegenüberliegenden Hang schlägt. Dies löst die Dominanz des steilen Hangs auf und stellt gleichzeitig den räumlichen Reichtum der mittelalterlichen Stadt wieder her. Andere, kleine Interventionen reparieren die ausgefranste städtische Fassade und fügen sie wieder ins Bild der Strasse des ehemaligen Rotlichtviertels von Santiago ein. Das Ergebnis ist eine ungewöhnliche und lebendige Mischung aus Ländlichem und Städtischem, aus Natürlichem und Gebautem, aus Produktion und Wohnen, aus Bestehendem und Neuem.

Zwei noch nicht realisierte Projekte verfolgen einen ähnlichen Ansatz: Wo die Planung in Cubeiro und in Las Casas do Rego Einfamilienhäuser vorsah, schlägt López Cotelo einen niedrigen, dichten Zusammenschluss von Wohnhäusern vor, der viel weniger Grundfläche verbraucht und es ermöglicht, die architektonischen und landschaftlichen Eigenschaften des Gebiets aufzuwerten. Dies erreichte er, indem er die Baukörper auf der Suche nach dem angemessenen Massstab und einer Ordnung jenseits des ursprünglich beiläufig Pittoresken bearbeitete.

In diesem Sinne zeigt das 2007 fertiggestellte Wohngebäude in La Alameda, das sich in einem vollständig konsolidierten städtischen Umfeld befindet, eine weitaus gängigere Praxis. Es wiederholt die Volumetrie der benachbarten Bauten, bedient sich aber einer zeitgenössischen architektonischen Sprache, so wie auch die anderen Gebäude das Ergebnis ihrer jeweiligen Entstehungszeit sind und im Kontext der Stadt zusammenfinden. Gemeinsam, aufeinander abgestimmt, bilden sie die städtische Fassade vor dem Alameda-Park und schliessen diesen ab.

Die prächtige Wohnüberbauung in Caramoniña schliesslich, die am Rande der Altstadt liegt, befindet sich an einem weitaus anspruchsvolleren Ort als die vorherigen, da sie einerseits an den Park von Santo Domingo de Bonaval, eine bedeutende Anlage des historischen Zentrums, und andererseits an einen lieblos überbauten Strassenzug grenzt. López Cotelos sensibles und nuancenreiches Projekt artikuliert die komplexe Verflech-tung von Stadt und Land, die für Santiago de Compostela charakteristisch ist. Mit einer sorgfältigen Naht stellt seine einzigartige Intervention zwischen den Gebäuden aus den 1960er Jahren und dem historischen Park eine neue Kontinuität her.

Dauerhaftes als solide Basis

Die Werke in Santiago zeigen, wie wichtig López Cotelo die zeitliche Dimension in der Architektur ist. Im Projektbericht für die Renovierung der Casa de las Conchas in Salamanca hielt er einen Gedanken fest, der während seiner gesamten beruflichen Laufbahn gültig blieb: «Der Eingriff konzentriert sich auf die Identifizierung, Definition und Konstruktion jener minimalen Elemente, die für das Leben des Gebäudes notwendig sind. Sie müssen mit den ursprünglichen Bestandteilen koexistieren und versuchen, den Geist des Bauwerks als Ausdruck seiner Zeit zu teilen, deren Integration durch ein intelligentes und sensibles Verständnis der konstruktiven Realität katalysiert wird.» Die Konstruktion und die Technik sind in der Lage, der Vergänglichkeit des biologischen Lebens zu trotzen, um das soziale Leben aufrechtzuerhalten, was vielleicht am deutlichsten der Kampf der Sterblichen gegen den Lauf der Zeit zeigt. Ein Gebäude ist dynamisch, nicht weil es sich bewegt, sondern weil es die Zeit einbezieht. Bauten, die geplant und errichtet werden, um zu bleiben, appellieren an Henri Bergsons Idee der Dauer als der wahren menschlichen Zeit. In ihr dehnt sich die Architektur aus und dauert an, denn irgendwie ist sie in der Lage, das mechanische Vergehen der Zeit aufzuheben, um eine andere, erfahrungsbezogene Zeit einzuleiten, die die Vergangenheit mit der Gegenwart in einer glücklichen Synthese verbindet. Mit jedem Umbau entsteht eine neue, aber wiedererkennbare Identität, die auf dem Dauerhaften und nicht auf dem Flüchtigen aufbaut und sich so als solide und gemeinsame Basis erweist, auf der das Fundament der Zukunft ruht.

Wie eine Antenne fängt der Architekt die sozialen und kulturellen Bedürfnisse des Wohnens ein – das wesentliche Merkmal des Wohnens ist nach Martin Heidegger die Fürsorge –, um einen angenehmen Raum zu entwerfen, der die Erfahrungswelt der Nutzerschaft begleitet. López Cotelo organisiert die Architektur nach den einfachen, alltäglichen Handlungen des Wohnens, um einen einladenden Zufluchtsort zu schaffen. Es ist jenes Nest, das Gaston Bachelard als Bild der Ruhe, der Stille vorschlägt und das unmittelbar mit dem Bild eines Hauses assoziiert ist, das im Zeichen der Einfachheit gebaut wurde.

Die von Empirie geprägte Architektur von López Cotelo trägt Anklänge an Lewerentz und Aalto, an Häring und Scharoun. Sie erweckt ein Gefühl von warmer Nähe, ist elegant, zurückhaltend, effizient. Sie moduliert und strahlt eine heitere, fast magnetische Anziehungskraft aus. Man erkennt darin die gründliche Pflege der Landschaft, die Bewahrung des gebauten Erbes als Spur der kollektiven Geschichte, das Verständnis der verschiedenen Massstäbe, in denen sich die Phänomene des Lebens abspielen, die tektonische Gliederung der Konstruktion. Die Ordnung von Licht und Materie ist die Synthese vielfältiger und gegensätzlicher Anforderungen aller Art, die einem Projekt Spannung verleihen. López Cotelos Werk ist, kurz gesagt, ein zutiefst humanistisches: Seine widerständige, gegenläufige Haltung, in der der Mensch im Mittelpunkt dieser präzisen, geordneten, kohärenten und synthetischen Architektur steht, stellt eine Kraft der aufgeklärten Reibung dar, die sich hartnäckig dem sinnlosen Tempo einer banalen Gegenwart widersetzt.

Juan García Millán (1962) ist Architekt, Professor an der Universität Antonio de Nebrija und Direktor von Ediciones Asimétricas, Verlag für Architektur und bildende Künste. Er leitete die Zeitschriften Arquitectura des COAM und Constelaciones der Universität San Pablo-CEU.

Aus dem Spanischen von Lucia Gratz

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