Eva Stricker, Juliet Haller / Amt für Städtebau (Bilder)
Einst Überbleibsel einer Ausstellung und Hort vieler Erinnerungen, lädt die wiederaufgebaute Institution heute wieder zum Essen und Verweilen am Seeufer ein. Von hier aus eröffnen sich ungeahnte Blicke auf die Stadt und seine Uferzone.
Prächtig sitzt es sich im neuen Biergarten am Zürichhorn unter ehrwürdigen Platanen am Wasser – mit Postkartenblick auf Stadt, See und Berge. Auf schlanken Pfählen ragt daneben die 2021 eröffnete neue Fischerstube in den See, vom Berner Architekturbüro Patrick Thurston dem Vorgängerbau «wesensgleich» nachempfunden. Wie Biberfell schimmert ihr imposantes Schilfdach. Viel kleiner und teils noch im Original erhalten watet die sanierte Fischerhütte wie ein Jungtier daneben im Wasser. Fest am Land liegt einzig der dritte Baukörper des Ensembles, der Neubau des Gartenbuffets. Über der malerischen Szenerie verweht gnädig der Wind den herb-süssen Dunst der verkaterten Stadt, vorgestern war Street Parade.
Fühlt sich Zürich je grossstädtischer an als in der Öffentlichkeit dieses Seeufers? In der mit Abstand meist genutzten städtischen Grünanlage treffen für eine schnelle Stadtflucht einfach alle aufeinander; Menschen jeden Alters, jeder Herkunft, Zürcherinnen und Touristen. Allein ans Zürichhorn kommen jedes Jahr mehr als 2,5 Millionen Menschen, mitunter nur für ein kurzes Bad über Mittag oder einen Abend im Freilichtkino. Familien, Rentnerinnen, scharenweise Halbwüchsige verbummeln derweil auf den Liegewiesen ganze Tage – oder halbe Nächte. Am Zürichhorn weitet sich die Seeuferpromenade zum Volkspark, mit allem, was dazugehört.
Das war nicht immer so: Erst 1887 erwarb die Gemeinde Riesbach den bis dato weitgehend naturbelassenen Schwemmkegel des Hornbachs. Otto Froebel und Evariste Mertens erhielten den Auftrag, hier in Fortsetzung der eben eröffneten Quaianlagen einen öffentlichen Park zu gestalten.
Zwei Grossereignisse beeinflussten dessen Entwicklung. Von der legendären Landesausstellung 1939, die an der Schwelle zum Zweiten Weltkrieg mit grossem Erfolg die nationale Identität und Einheit beschwor, sind nur die von Kündig und Oetiker geplanten Fischerstube und Fischerhütte vom legendären Landidörfli erhalten. Schon 1956 brannte die Stube jedoch vollständig nieder. Beim Wiederaufbau hat man das Strohdach pragmatisch durch Eternitschindeln ersetzt.1 Zwanzig Jahre nach der Landi griff die Gartenbauausstellung G59 mit gestalterischen Experimenten ihrer Zeit vor. Wie einst kann man heute den Ententeich an der ehemaligen Hornbachmündung auf runden Betontritten im Wasser queren – keine Zürcherin, die hier nicht schon einen nassen Fuss aus dem Wasser gezogen hätte.2 Just, wo sich der Teich zwischen verwunschenen Weiden in die Spitze der Landzunge schlängelt, stehen die beiden Pfahlhäuser der Landi malerisch im Wasser.
Das Wasser nagte jedoch an der Substanz: Irreparable Schäden an Tragwerk und Pfählung besiegelten den Entscheid, die Fischerstube zu ersetzen. Dabei galt es einerseits, ihrer Geschichte gerecht zu werden, andererseits aber auch, für einen effizienten Vier-Jahreszeiten-Betrieb mit beachtlicher Kapazität vorzusorgen. Baurecht und Denkmalpflege setzten dem 2009 ausgelobten Wettbewerb klare Grenzen: Der «wesensgleiche» Ersatzneubau in der Freihaltezone des Ufers musste zu mindestens 80 Prozent dem Fussabdruck des Altbaus entsprechen. Um sich der ursprünglichen Gestalt anzunähern, war auf die stirnseitig vorgelagerte Seeterrasse zu verzichten – ein vieldiskutierter Entscheid. Ausserdem war neben einer sichtbaren Pfahlfundation und einem innovativen Holztragwerk vor allem auch ein strohgedecktes Walmdach gefordert.3 Schilf statt Stroh bestimmte schliesslich den siegreichen Entwurf von Patrick Thurston in eindrucksvoller handwerklicher Konsequenz: Der mächtige Dachstuhl erinnert mit seinen Mittelstützen an roggenstrohgedeckte Hochstudhäuser, wie sie vom 15. bis ins frühe 19. Jahrhundert im Schweizer Mittelland üblich waren.4 Nur ist die «Hochstud» hier als Hängepfostenreihe am Firstbalken aufgehängt und über Zangen mit dem Sprengwerk verbunden, welches die Last nach unten leitet. Steiler noch als die um 45 Grad geneigten Sparren stehen seine Streben entlang der Längsfassaden auf weit eingerückten Stützen, die mit dem Raster der verzinkten Rundstahlpfähle unter der Bodenplatte aus Beton und Stahl harmonieren. Aussen ist auf die Sparren nur eine Lattung geschraubt und darauf das Schilf gebunden, ohne Dichtung oder Dämmung – so kann es nach Schnee und Regen an der Sonne trocknen. Die zu einem 30 Zentimeter dicken «Fell» geschichteten Halme sind nur mit ihren untersten Enden dem Wetter ausgesetzt. Um das dort konzentrierte Lignin als natürlichen Schutz zu nutzen, wurden sie bei der Ernte in Rumänien besonders tief geschnitten.5 Abgesehen von der benachbarten alten Hütte trägt die Fischerstube das einzige Schilfdach weit und breit.6 Mit seiner akkurat gestutzten Kontur, dem steilen, tief in die Stirn gezogenen Walm und den sparsamen, weich überformten Öffnungen empfängt sein kompakter Körper selbstbewusst und weithin sichtbar die Ausflugsschiffe am Zürichhorn.
Unter dem weit auskragenden Dach gliedern die beiden Stützenreihen den Raum in drei Schiffe. An der uferseitigen Stirn liegt die Küche mit den Serviceräumen. Der in massive Wymouthsföhre gekleidete Gastraum öffnet sich dahinter dreiseitig zum See, links über eine offene Veranda, rechts als Lounge.
Das doppelgeschossige «Hauptschiff» dazwischen überwölbt ein feingliedriges, digital gefertigtes Holzstabwerk: Installationen und Akustikverkleidungen dahinter verschwinden im Dunkeln. Seine komplexe, ornamentale Geometrie hat der Künstler-Mathematiker Urs Beat Roth entwickelt und präzis auf die Struktur des Hauses abgestimmt. Sein Onkel zweiten Grades, Alfred Roth, soll 1939, ganz im Geist des fortschrittlich-modernen linken Landiufers, den «Heimatstil» des «Landidörfli» noch vehement beanstandet haben. Von solchen Vorbehalten unbeeindruckt verleibt sich der traditionsbewusste Neubau nun den Geist der digitalen Gegenwart ein. Dass in der gemütlich-gediegenen Gaststube vom spektakulären Dach so wenig zu spüren ist, liegt in der Natur der Sache: Die traditionelle Schilfdeckung erfordert ein Kaltdach mit viel Luft zwischen Schilf und Dämmebene; die isolierte Decke liegt deshalb direkt über den warmen Räumen. Darüber erhebt sich in aller Stille der leere, rhythmisch gegliederte Dachraum, trocknende Schilfblüten rieseln leise hinein.
Um den Luxus des leeren Dachs wurde zäh gerungen: Die Feuerpolizei musste sich statt einer Brandschutzverkleidung mit Sprinklern unter dem Schilf begnügen, die Haustechnik andere Räume finden. Thurstons Entwurf für die neue Fischerstube ist räumlich zwar voll auf den See ausgerichtet, gedanklich und formal aber nach innen gekehrt: Das ist kein individualistischer Kommentar aus kritischer Distanz, sondern ein vorbehaltloses Annehmen, Durchdenken und Konstruieren der gestellten Aufgabe – in maximaler handwerklicher Stringenz. Ein derart unprätentiöser Ansatz für einen so aussergewöhnlichen Ort provoziert mitunter – das zeigte etwa die Resonanz in der NZZ. Dabei harmoniert er ausgesprochen gut mit der Geschichte dieser Bauten und ihrer heutigen Rolle im Park. Gehörte die didaktische Präsentation handwerklicher Traditionen nicht zum ursprünglichen Zweck des «Landidörfli»?
Andererseits kann man die zur Schau gestellte Bauweise durchaus auch exotisch finden. Schilf- oder Strohdächer waren am Zürichsee schliesslich auch zur Zeit der Landi längst nicht mehr alltäglich. So erinnert das Pfahlbau-Paar in seiner Künstlichkeit durchaus an die Staffagen historischer Landschaftsgärten. Auch diese zitierten gern alte Zeiten wie ferne Orte und besetzten oft markante Stellen in Parks. Womöglich hat sich die Fischerstube ja gerade wegen ihrer extravaganten Gestalt samt Restaurant und Biergarten zum selbstverständlichen, öffentlichen Teil des Parks entwickelt, wie das Lusthaus im Wiener Prater oder der Chinesische Turm im Englischen Garten von München. Ein robuster, volksnaher Ort, der sich unabhängig von Pächterwechseln und über ein Häuserleben hinaus im kollektiven Herz und Gedächtnis der Stadt verankert hat.
Warum dann aber mit dem hohen Schindeldach des neu erstellten Gartenbuffets das Ensemble zum Fischerdorf erweitern und damit das «Dörfli» wiederbeleben? Wäre eine kontrastierende, pavillonartige Gestaltung des Buffets, wie sie andere im Wettbewerb vorschlugen, nicht dienlicher gewesen, um die beiden Pfahlbauten in Szene zu setzen? Die Frage erübrigt sich bei näherem Hinsehen: Das stattliche Volumen ist buchstäblich bis unter sein Schindeldach mit Haustechnik gefüllt, eine architektonisch getarnte Maschine, die über einen unterirdischen Kanal auch die Stube versorgt. Dimension und Ausdruck des Buffets schaffen also erst den Spagat zwischen den Ansprüchen einer zeitgenössischen Hochleistungsgastronomie und der «wesensgleichen» Stube mit ihrem makellosen, leeren Dach.
Eva Stricker (1980) hat in Berlin und Zürich Architektur studiert. Sie ist freischaffende Architektin und arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut Konstruktives Entwerfen der ZHAW.
1 Vgl. Kenneth Angst, Alfred Cattani (Hg.), Die Landi. Vor 50 Jahren in Zürich. Erinnerungen – Dokumente – Betrachtungen, Stäfa 1989.
2 Vgl. Anthos, 2 / 2009, G59 – und 50 Jahre danach.
3 Vgl. Stadt Zürich, Amt für Hochbauten (Hg.), Ersatzneubau Restaurant Fischerstube Zürich-Riesbach. Projektwettbewerb im selektiven Verfahren. Bericht des Preisgerichts, Zürich 2010.
4 Vgl. Urs Jäggin, «Der Mehrreihenständerbau – Ein bedeutender Zürcher Bauernhaustyp», in: Stadt Zürich, Archäologie und Denkmalpflege 2006.
5 Für Dacheindeckungen geeignetes Schilf erfordert fortlaufende Kultivierung und jährliche Ernten mit spezieller Schnitttechnik. Da Anbau und Handwerk in der Schweiz nicht (mehr) betrieben werden, wurden Material und Fachleute aus europäischen Ländern mit entsprechender Tradition importiert. Versierte Dachdecker wurden derweil in Dänemark gefunden.
6 In Hüttikon existiert noch ein (früher mit Stroh gedecktes) Schilfdachhaus aus dem 17. Jahrhundert. Es ist das letzte seiner Art im Kanton Zürich. Vgl. Martina Kleinsorg, «Ein Haus, wie es kein zweites mehr gibt im Kanton Zürich», in: Zürcher Unterländer, 6.2.2018