Article de la 9–2024

Mitten ins Herz

Weiterbauen an der dörflichen Dichte in Sachseln von Seiler Linhart mit Freiraumarchitektur

Gerold Kunz, Rasmus Norlander (Bilder)

Drei Bauten ergänzen den historischen Spalihof in einem schützenswerten Ortsbild von nationaler Bedeutung. Die Wohnhäuser vermitteln zwischen unterschiedlichen Massstäben und geben Impulse für die Umgebung.

Unweit des historischen Zentrums von Sachseln haben Seiler Linhart die Nachbarschaft eines denkmalgeschützten Bauernhauses aus dem 15. Jahrhundert neu definiert: den Spalihof. Drei Neubauten, windmühlenartig um einen Hofraum angeordnet, binden das Bestandsgebäude in ein neu entstandenes Ensemble ein. Die städtebauliche Figur ist denkbar einfach. Das Resultat trifft mitten ins Herz. Die zum ländlichen Charakter passende Farb- und Materialwahl und der nach allen Seiten offene, aber dennoch intime Hof tragen massgebend zur positiven Wahrnehmung bei. Seit der Fertigstellung hat das Ensemble grosses Echo in den Fachmedien gefunden. Allen Berichten gemein ist die Wertschätzung der im Spalihof umgesetzten heutigen Themen wie Nachhaltigkeit, Verdichtung und Holzbauweise.

Hier wurde ein für den ländlichen Raum exemplarisches Vorhaben umgesetzt. Trotz spürbarer Verdichtung bilden die Neubauten zusammen mit den angrenzenden Satteldachbauten des näheren Kontexts ein harmonisches Ganzes. Zwei Neubauten sind zwar deutlich höher, stehen jedoch in der zweiten Reihe und nehmen sich auch farblich zurück. Sie respektieren so den Massstab der historischen Strassenbebauung. Was also gibt es Weiteres zu dieser offensichtlich geglückten Intervention zu sagen?

Verstädtertes Dorf

Was auf den ersten Blick als eine ortsbildgerechte Umsetzung denkmalpflegerischer Grundsätze erscheint, zeigt sich bei näherer Betrachtung in einer Vielschichtigkeit, wie sie typisch für die Nachkriegsjahre der ländlichen Schweiz ist. Konkret wurde in der Nachbarschaft des Spalihofs nicht nur zwischen 1937 und 1952 eine mächtige Holzverarbeitungsfabrik erstellt. Auch die Strasse, an welcher der Spalihof liegt, wurde korrigiert. Um einen Engpass aufzuheben, hat man sogar das dem Spalihof gegenüberliegende Bauernhaus Ende der 1950er Jahre zur Seite geschoben. Der Fabrikneubau hat nicht nur die Häusergruppe um den Spalihof vom Zentrum abgetrennt, er hat auch zu einem negativen Eintrag im Inventar der schützenswerten Ortsbilder ISOS geführt. Zwar zählt Sachseln zu den Ortsbildern von nationaler Bedeutung, doch wurde der Ort schon zur Zeit der Inventaraufnahme als verstädtertes Dorf klassifiziert.

Spalihof und Fabrikareal befinden sich im Besitz der Familie Reinhard. Vermutlich wurden der Spalihof und die angrenzenden Bauten für die Erweiterung der eigenen Möbelfirma erworben, die Bauten selbst wurden von der Firma jedoch nie genutzt. Neben dem Spalihof standen auf dem nun neu überbauten Grundstück eine Baracke und ein Wohnhaus, in dem sich ein Büro der Fabrik befand – mit Ausnahme des Spalihofs waren die Bauten von geringem Wert. Die Baracke wurde verkauft und demontiert, das Wohnhaus abgebrochen und der Spalihof von zahlreichen Anbauten befreit.


Wechselspiel von gross und klein

Die Zuschreibung im ISOS zeigt sich auch im grossen Anteil störender Objekte, die sich innerhalb des nationalen Ortsbilds befinden. Die Erweiterungsbauten der Holzfabrik gehören wegen der dominanten Wirkung auf die kleinmassstäbliche Strassenbebauung dazu. Auf der gegenüberliegenden Strassenseite des Spalihofs fällt ein Wohnhaus wegen der «grellen Farbigkeit und der unangemessenen, modernen Architektursprache» negativ auf. Am Dorfplatz sind es das Mehrfamilienhaus mit Post, das als viergeschossiger Massivbau mit Betonbalkonen «räumlich penetrant» wirkt, und der «aufdringliche Ladenvorbau» beim benachbarten, stark zurückversetzten Wohn- und Geschäftshaus. Diese negativen Bewertungen im ISOS bestimmen die Anforderungen an die Ortsbilderneuerung. Der 2018 durchgeführte Studienauftrag musste den hohen Ansprüchen des Ortsbilds- und Umgebungsschutzes gerecht werden, denn neben dem Spalihof befinden sich zwei weitere Schutzobjekte (Brünigstrasse 63 / 65 und Büelgässli 2) innerhalb des Betrachtungsperimeters. Die Denkmalpflege forderte bei den Neubauten hinsichtlich Volumen, Höhe, Materialisierung und Farbgebung eine Rücksichtnahme auf die ortsspezifisch vorhandene Bebauung und eine besondere Aufmerksamkeit für die Freiräume. Im Umgang mit dem spätmittelalterlichen Bauernhaus zeigte sich die Denkmalpflege gegenüber möglichen Restaurierungs- und Rekonstruktionskonzepten offen, da das Haus zum Zeitpunkt des Verfahrens noch nicht unter Schutz stand.

Das Projekt von Seiler Linhart erfüllte diese Voraussetzungen. Sie erreichten die angestrebte Wirtschaftlichkeit (die Bauherrschaft gab kein Raumprogramm vor), indem sie das Areal mit drei Neubauten ergänzten und das Bauernhaus restaurierten. Aus ortsbaulicher Perspektive wurde aber auch gegenüber dem Fabrikbau eine Lösung gefunden, indem die abgestuften Gebäudehöhen zwischen den beiden unterschiedlichen Massstäben, dem grossvolumigen Fabrikbau und dem filigranen Spalihof, zu vermitteln vermögen.

In der Umsetzung hat das Wettbewerbsprojekt leichte Korrekturen erfahren. Das Volumen neben dem Spalihof wurde in der Höhe reduziert und der Neubau für eine Gewerbenutzung ausgelegt. Stattdessen wurde der dahinterliegende Neubau um ein Geschoss erhöht. Diese differenzierte Volumenstaffelung hat die aussenräumlichen Qualitäten geschärft.

Die in das leicht ansteigende Gelände eingestreuten, unterschiedlich hohen Bauten festigen das lokale Ortsbild. Die Neubaustandorte sind ideal gewählt. Die beiden hinter dem Bauernhaus platzierten drei- und viergeschossigen Gebäude stehen auf einem massiven Sockel, der auch den Vorplatz zwischen den Bauten fasst. Zwischen den Häusern liegt die Waschküche im Sockelgeschoss, die sich als Gemeinschaftsraum und wichtiger Treffpunkt nutzen lässt. Dieser ist in der wärmeren Jahreszeit vortrefflich in den vorgelagerten Hof erweiterbar, wo man sich auf der Betonsitzbank oder am Wandbrunnen versammeln kann.

An der südlichen Spitze des Areals gleicht sich das Gebäude neben dem Bauernhaus im Volumen dem Bestandsgebäude an, im Charakter nimmt es die Funktion eines Nebengebäudes ein. Derzeit ist dort ein Yogastudio eingemietet. Die Farb- und Materialwahl des Ensembles ist ganz dem ländlichen Bauen verpflichtet. Der Spalihof zeigt sich mit der unbehandelten Holzfassade noch hell und frisch, wird mit der Zeit jedoch merklich abdunkeln. Die Neubauten werden von den gewählten Farben bestimmt. Die beiden hinteren, aufragenden Wohnbauten sind dunkel gehalten, während die Bauten an der Strasse, der Spalihof und das Nebengebäude, heller erscheinen. Seiler Linhart reichern die Bauten mit vielen wohltemperierten Details an. Kaum ein Ort, der nicht ihre architektonische Handschrift trägt und so bewusste Bezüge zu Motiven vernakularer Bauten der Region festigt.


Gegensätzliche Architektursprache

Die mit dem Spalihof angestossene Entwicklung setzt sich in der Umgebung fort. 2019 gab die benachbarte Fabrik die Produktion auf und das Gebäude wird heute zwischengenutzt. Aus dem 2021 durchgeführten Studienauftrag ging ein Projekt der Basler Architektinnen Shadi Rahbaran und Ursula Hürzeler hervor. Ihr Masterplan sieht künftig eine gemischte Nutzung des Areals mit Wohnen und Arbeiten vor. Das Fabrikgebäude und das Silo bleiben erhalten und werden mit von den Architektinnen entworfenen urbanen Architekturen ergänzt. Hinter dem erhaltenswerten Winkelgebäude im Norden des Areals wird die alte Fabrikhalle auf ihre Stahlstruktur zurückgeführt und begrünt und bildet zukünftig den Wagnerei-Platz, zweiseitig von Neubauten mit Gewerbenutzungen umstellt. Im Süden schliesst ein weiterer grüner Wohnhof an. Das Projekt befindet sich noch in Entwicklung und ein Realisierungszeitpunkt ist noch ungewiss, da zuerst noch Anpassungen am Zonenplan vorgenommen werden müssen.

Auch wenn die beiden benachbarten Projekte, der von Seiler Linhart realisierte Spalihof und das von Rahbaran Hürzeler geplante Reinhard-Areal, in ihrer architektonischen Orientierung unterschiedliche Ziele verfolgen, verfügen sie über städtebauliche Gemeinsamkeiten. Seiler Linhart stricken das ländliche Sachseln weiter, Rahbaran Hürzeler suchen hingegen nach einer urbanen Stimmung. Beide verdichten aber das Areal mit Bauten unterschiedlichen Massstabs und unterschiedlicher Typologie.

Bei Seiler Linhart lässt sich diese Haltung auch im Studienauftrag Hofmatt in Sarnen, dem nur drei Kilometer von Sachseln entfernten Kantonshauptort, erkennen. Gesucht wurde dort 2021 nach Bebauungsvorschlägen für eingezonte, heute noch unbebaute Grundstücke im Sichtbereich der Kirche St. Peter. In ihrem Beitrag schlagen die Architekten eine eigenständige Neubausiedlung vor, die an der vorhandenen kleinteiligen Baustruktur anknüpft. Ihr Entwurf sieht keine gleichförmige Siedlung mit sich immer gleichen Häusern vor, sondern in Volumen, Stellung, Fassadengestaltung und Detailierung differenzierte Häuser – wie im Spalihof exemplarisch umgesetzt. Wie beim Reinhard-Aral in Sachseln sind auch die Planungen in Sarnen noch nicht abgeschlossen. Es gilt abzuwarten, ob sich das im Kleinen des Spalihofs erprobte städtebauliche Prinzip erfolgreich auf einen grösseren Siedlungsteil übertragen lässt.

Gerold Kunz (1963) ist selbstständiger Architekt in Ebikon, Fachsekretär der Stadtbildkommission Basel und Mitherausgeber der Architekturzeitschrift Karton. Von 2008 bis 2021 war er Kantonaler Denkmalpfleger von Nidwalden.

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