Article from wbw 3–2023

Dach als Kraftwerk

Technisch Wissenswertes zu Aktivdächern

Daniel Studer, Daniel Mettler

Solarthermie und Photovoltaik machen die Dächer unserer Bauten weder besser noch schlechter – aber sie geben energetische und gestalterische Impulse.

 

«Das Aktivdach ist meine 51. Wohnung.» Das sagte der Immobilienentwickler zur Frage, warum er eine Photovoltaikanlage auf seine Siedlung mit 50 Wohnungen baue. Ohne die Ausnutzung der Parzelle zu belasten, könne er mit dem zusätzlich investierten Betrag eine mit den Wohnungen vergleichbare Rendite erzielen – Ökonomie trifft Energiegewinnung. Damit ist das Dach um einen neuen Konstruktionsbaustein reicher geworden. Dieser muss noch Teil des architektonischen Repertoires werden.

Ein Aktivdach produziert im Gegensatz zum althergebrachten Passivdach Strom, Wärme – oder beides – aus Sonnenenergie. Aktivdächer erfordern aber einen zusätzlichen konstruktiven Aufwand und dadurch höhere Investitionen – gleichen diese aber durch energetische und finanzielle Gewinne wieder aus. Kurz: Passivdächer verursachen Kosten, Aktivdächer amortisieren sich selbst.

Vom Passiv- zum Aktivdach

Noch nie wurden bestehende geneigte Dächer so grossflächig durch Aufdopplungen verdeckt wie aktuell.1 Aufdach-Solaranlagen können zwar ohne An- und Abschlüsse einfach über bestehende Dachbeläge montiert werden, die architektonischen Konsequenzen sind aber oft bitter. Im Gegensatz dazu bilden Indach-Anlagen eine Dachhaut, bei der alle Details an First, Ort und Traufe auch gestaltet werden müssen. Der Ersatz etwa eines Falzziegeldachs durch eine Indach-Anlage bringt konstruktive Vorteile: PV -Module sind leichter als der alte Dachbelag, und damit wird bei dessen Ersatz sogar das ursprüngliche Flächengewicht unterschritten – und für eine zusätzliche Wärmedämmung muss die Tragstruktur nicht verstärkt werden. Zudem werden für die Solarzellen Leistungs- und Funktionsgarantien von über 25 Jahren gegeben, was für Bauteile einzigartig ist: Die Glasplatten der Module bilden selbst nach Ablauf dieser Zeit noch ein dichtes Dach, das mindestens genauso dauerhaft ist wie eines aus Ziegeln.2

In gestalterischer Hinsicht wird der Dachbelag durch die Glasmodule besonders glatt, und deren typischerweise dünne Kanten können für eine neuartige Gestaltung des Ortgangs genutzt werden. Ein Gebäude, bei dem Pionierarbeit geleistet wurde, ist das Haus Schneller Bader von Bearth Deplazes Ladner in Tamins (2016), dessen Süddach als freigestellte, rechteckige Glasfläche ohne Randabschlüsse behandelt ist. Wie alle Dachbeläge haben Indach-Anlagen die üblichen technischen Voraussetzungen zu erfüllen: Die minimale Dachneigung muss eingehalten werden,3 das Unterdach muss darauf abgestimmt sein,4 und der Widerstand gegen Hagel und Schneelast ist zu beachten. Die glatte Oberfläche des Solarglases lässt Schnee abgleiten, deshalb ist dem Schneefangsystem erhöhte Aufmerksamkeit zu widmen. Das gilt für Photovoltaik ( PV ) wie für solarthermische Kollektoren. Zudem sinkt bei PV-Modulen mit steigender Temperatur der Wirkungsgrad. Die Hinterlüftung dient hier darum nicht nur dem Feuchtehaushalt der Gebäudehülle und der Entwässerung des Unterdachs, sondern auch der Kühlung für die PV -Anlage.

Bei PVT -Dächern, also der Verbindung von PV und Solarthermie, kann der hydraulische Kreislauf unter der PV eine Flüssigkeitskühlung der Module bewirken. Der Gesamtwirkungsgrad liegt bei PVT nahe 80 Prozent, davon liefert die Wärme für die Gebäudeheizung 60 Prozent. Meist genügt es, nur einen Bruchteil der Dachfläche mit PVT zu belegen und das übrige Dach mit PV. Auch wenn, wie bei der von einem der beiden Autoren sanierten katholischen Kirche St. Franziskus in Ebmatingen (2019), nur ein Teil der Dachfläche kombiniert genutzt wird, weisen beide Anlagetypen dasselbe Erscheinungsbild auf: Es werden immer die gleichen Standardmodule verwendet, beim PVT -Dach liegen sie aber auf einer Absorberplatte mit eingelassenen Wasserleitungen.

Farbige Photovoltaik möglich

Die in den Modulen integrierten Zellen sind aktuell meistens monokristalline Siliziumzellen. Sie haben den höchsten Wirkungsgrad, und es können etwa 180 Wp5 Leistung pro Quadratmeter Modulfläche erwartet werden. Polykristalline Zellen und Dünnfilmtechnik werden weniger häufig eingesetzt. Sie haben leicht geringere Wirkungsgrade. Es können sich aber für Dünnfilm-Module Vorteile ergeben, etwa mit grösserer Leistung bei diffusem Licht oder bei höheren Temperaturen sowie mit einer einfacheren Montage.6 Die kubische Erscheinung des Wohnhauses Solaris von Huggenberger Fries Architekten in Zürich (2017) erforderte einheitlich gefärbte Module an Fassade und Dach. Rückseitig bedruckte Solargläser oder eingearbeitete Folien ermöglichen die farbige PV. Je nach Farbton und Deckungsgrad resultieren aber Leistungsverluste. Doch selbst so liefert ein Aktivdach noch 80 Prozent seiner Energie. Ungeachtet der eingebauten Technologie gilt: Ein Dach ist ein Dach. Deshalb wird für Indach-Anlagen die Dachhaut7 analog zu Einfachdeckungen traditioneller Dachbeläge gefügt: Die häufigste Verlegeart bei unprofilierten Modulen aus Glasplatten mit rückseitigen PV-Zellen entspricht ziemlich direkt einem Biberschwanzdach mit Schindelunterzug.

Die vertikalen Stossfugen werden anstelle der Holzschindeln mit einem Alu-Entwässerungsprofil unterlegt, die Überlappung der Horizontalfugen ist ab ca. 15 Grad Dachneigung ausreichend dicht. Eine konzeptionelle Vereinfachung stellen diagonal verlegte PV -Module dar, die sich allseitig überlappen. Damit kann auf Hilfsprofile verzichtet werden, ähnlich wie z.B. bei einem einfach gedeckten Eternit-Schindeldach. Einige PV-Module und Solarkollektoren sind rundum mit wasserführenden Profilen eingefasst. Dies ermöglicht wie bei Falzziegeln ab ca. 10 Grad einen dichten Belag. Seit kurzem werden vermehrt PV -Bausteine in Dachziegelformaten angeboten, die zum Teil sogar auf die bestehende Ziegellattung versetzt werden können. Sie erreichen etwa 140 Wp pro Quadratmeter Modulfläche. Der Umbau des Hauses Möhrlistrasse von Leuthold von Meiss in Zürich (2022) nutzt derartige «Mimikry-PV ». Für denkmalpflegerische Kontexte kann das sinnvoll sein, jedoch kumulieren Systeme mit Ziegeln und daraufgeklebten PV -Modulen den CO ₂-Fussabdruck beider Dachbeläge.

Ganz entspannt zeitgenössisch

Ob Dächer mit Solartechnik die Architektur erneuern? Ein unbefangener Umgang mit neuen Bauelementen kann zu adäquaten Resultaten führen. Der Neubau Roter Kamm von Loeliger Strub in Gockhausen (2023) mit seinem gezackten Ortgang integriert sowohl PV als auch PVT und beweist auch, dass diese neuen Materialien für Aktivdächer ganz entspannt zur Gestaltung zeitgenössischer Architektur benutzt werden können.8 Solarthermie und Photovoltaik machen die Dächer unserer Bauten zwar rentabler für die Bauherrschaft, architektonisch jedoch weder besser noch schlechter: Das Bessermachen müssen wir Architekturschaffenden schon selbst erledigen.

Daniel Mettler (1965) Künstler und Architekt,
Daniel Studer (1962) Architekt. Gemeinsam leiten sie die Dozentur Mettler / Studer BUK (Bautechnologie und Konstruktion) an der Architekturabteilung der ETH Zürich.

1 2022 werden in der Schweiz ca. 900 MW (+ 28 % zu 2021) neu installierter PV-Leistung erwartet (www.swissolar.ch), weltweit ca. 260 GW (IEA PPSP «Trends in PV Applications 2022»).
2 Über 75 % eines PV-Moduls können wiederverwendet werden, Tendenz steigend. Quelle: www.swissolar.ch, Faktenblatt 2 «Das Recyclingsystem für Photovoltaik-Module: so einfach ist geteilte Verantwortung».
3 Schrägdach Dachhaut Minimalneigung; BUK ETHZ Konstruktion, Basel 2021
4 Gute Zusammenfassung: www.swissolar.ch; «Stand-der-Technik-Papier»
5 Wp = Watt Peak; Spitzenleistung unter genormten Testbedingungen.
6 solartown.com/learning/solar-panels/advantages-make-thin-film-solar-panels-shine/ (abgerufen 9. Januar 2022).
7 Dachhaut PV; BUK ETHZ Konstruktion, Basel 2021
8 Weitere Beispiele und Details: www.solarchitecture.ch

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