Bauanleitung für das Paradies

Passend zum Thema des kommenden Hefts «Luzern Nord-Süd» über die Entwicklung rund um Luzern läuft derzeit im Museum im Bellpark in Kriens die Ausstellung «Shopping Center». Passend deshalb, weil man in der Zentralschweiz auf das älteste und das jüngste Shopping Center der Schweiz trifft. So wirft die von Hilar Stadler und Ralf Keller kuratierte Schau einen Blick zurück auf die Geschichte dieses Bautyps, angefangen bei Alvar Aaltos Planungen zum Luzerner Zentrum Schönbühl Ende der 1960er Jahre und endet mit Nahaufnahmen aus der 2017 eröffneten Mall of Switzerland in Ebikon. Doch die Recherche der Kuratoren gilt nicht dem Lokalen, sondern ist geleitet von der Frage nach der nächsten Brache. Stadler spricht dabei bildhaft von der Frage, was die Siedlung «Schweiz» als nächstes ausscheide. Das Museum knüpft damit an vergangene Ausstellungen zu Brachen an: Auf die Industrie- und die Militärbrachen folgt nun ihre Recherche zur Frage, ob nicht das Einkaufszentrum die nächste Brache sei.

Der in der Schau gezeigte Film von Reto Caduff aus dem Jahr 2019 von Dead Malls in den USA liefert der Ausstellungsthese Nahrung und den Besucheraugen eingängige Bilder. Zweifellos führt das Online-Shopping auch hierzulande zu veränderten Einkaufsgewohnheiten. Das stellt den Einzelhandel auf den Prüfstand, was der Schau ja auch ihren Untertitel eingebracht hat: «Zur Zukunft des modernen Marktplatzes». Selbst in der Schweiz findet sich bereits die erste geschlossene Mall, das Centro Ovale in Chiasso: 2011 eröffnet, steht es seit 2015 leer.

Ist eine Shoppingmall eigentlich Architektur?

Mit der irritierenden Frage nach der neuen Brache im Kopf streift der Museumsbesucher durch die drei Etagen der Villa im Herzen von Kriens und findet erst einmal Zuflucht in der Geschichte. Sie hilft um zu lernen, wes Geistes Kind die Shopping Mall ursprünglich ist: Zwar ist Schönbühl mit dem Hochhaus von Alvar Aalto und dem Einkaufssockel von Alfred Roth noch keine Mall im eigentlichen Sinn, sondern eine Ladenpassage mit sämtlichen Grossverteilern. Noch ganz frei von ergänzenden Nutzungen steht dieses Projekt noch im Diskurs um die Zentrumsfunktionen von Städten und Siedlungen. Die dafür ausgerollten Tuschpläne aus dem gta-Archiv und die handgezeichnete Perspektive aus dem Büro von Alfred Roth sind eine Augenweide, wie auch die Fotos kurz nach Fertigstellung. Sie inszenieren Schönbühl als modernen Bau. So wurde die neue Bauaufgabe zur Architektur nobilitiert.

Freilich war zu jener Zeit die Mall als zentraler Baustein der Suburbanisierung amerikanischer Städte bereits erfunden. Zwanzig Jahre vor Schönbühl hatte der Wiener Emigrant Victor Gruen in den USA ein Kaufhaus mit Parkdeck errichtet, 1954 mit dem Northland Center in Detroit die erste eigentliche Shopping Mall. An einer Hörstation mit einem Interview mit Gruen aus dem Jahr 1962 wird man seiner Begeisterung für die Mall gewahr, die später einer Kritik am blinden Konsum und dem unaufhaltsamen Verkehrswahn wich. Gleichwohl waren Gruen zeitlebens der Zentrumsgedanke und die Gemeinschaftsorientierung wichtige Leitlinien seiner Konzepte.

Ein Paradies im Aargau

Als Schweizer Experte ist der Architekt Walter Hunziker in der Schau präsent. 1949 in die USA ausgewandert, hat er dort schon früh Erfahrungen mit dem Bau kleiner Zentren gesammelt. Im Videointerview mit Fabian Furter lässt er die Ideale und Prämissen der Zeit hochleben. Hunziker gilt als Spiritus Rector des Shopping Centers in Spreitenbach, des ersten in der Schweiz. Neben dem intakten alten Dorf eröffnete 1970 ein modernes Zentrum mit Wohnhochhäusern und Mall, deren Funktionen über den Alltagsbedarf hinausreichen. Motoren des Spreitenbacher Erfolgs waren aber auch das Konkubinatsverbot in Zürich, das viele Paare ins Aargauische trieb, oder die Discounter-Strategie von Karl Schweri, der als wichtiger Initiant des Zentrums gilt.

Heute sind in Neu-Spreitenbach eigene Lebenswelten entstanden, viele sind von migrantischen Gemeinschaften geprägt, die stolz sind auf ihre Neustadt. Dieses spezielle Lokalkolorit zeigt eine Schweizer Realität, die Wenigen bekannt sein dürfte, aber in den Fotos von Goran Galić aus der Serie «8957 Spreitenbach» trefflich zum Ausdruck kommt.

Shopping-Display = Museums-Display?

Nebst der Brachen-These interessieren sich die Ausstellungsmacher für die Themen von Display und Szenografie. Aus den Archiven zweier Schweizer Grossverteiler haben sie Funde zu Tage gefördert, die das Einkaufserlebnis von gestern ins Bild rücken. Zu vielen Themenbereichen sind zudem historische Filmdokumente verfügbar, die erahnen lassen, wie schnell sich die Welt des Konsums dreht. Die Bilder zeigen Konsumbegeisterte, die ohne Theke frei zugängliche Waren eintüten. Diese Zeit scheint uns weit entrückt, angesichts von Gesichtsscans und Selbstbedienungskassen.

Um es auf den Punkt zu bringen: Ist die Mall nicht das bessere Museum? Schaut man sich jüngst gebaute Schaufenster an, fallen sofort die hochwertigen Lichtinstallationen ins Auge, die jedes angejahrte Museum erblassen lassen. Die Marktstände von gestern, ihre Beschriftung und Inszenierung sind von betörendem Retrocharme, die jede Ausstellung lebendig gestalten könnten. Und Hilar Stadler verweist auf die heute zum Exponat isolierte Präsentation der Waren, die museale Züge annimmt.

So stellen die Ausstellungsmacher kritische Fragen nach der Zukunft der Verkaufsflächen der Malls und deren Displays, aber ohne sich lange bei der Konsumkritik oder gar mit jüngsten Phänomenen wie Influencern aufzuhalten. Im Keller jedoch sind zeitgenössische prallbunte Fotos mit den Archivalien gemischt präsent. Sie zeigen Nahaufnahmen von Sitzmöbeln, Infotafeln und skurrile Arragements, alles Details, an die man sich nach Besuchen von Malls nicht mehr erinnert. In diesen Fotos von David Jäggi offenbart sich das planerische Regime, das sich hinter dem schönen Schein verbirgt. Denn mit der Anordnung von Sitzmöbeln werden auch Personenströme oder Ausblicke (auf neue Waren) gelenkt. Nichts bleibt dem Zufall überlassen. Jäggis Bilderreigen von zwei Dutzend Schweizer Malls porträtieren als spitze Kommentare unserer Einkaufserlebnisse und laden zum Nachdenken ein. Die künstlichen Palmen dieser Paradiese sollten aber auf jeden Fall bleiben, auch wenn in der Brache zukünftig neues Leben wächst.

— Roland Züger

Ausstellung:
Shopping Center
Zur Zukunft des modernen Marktplatzes

Museum im Bellpark
Luzernerstrsse 21, 6011 Kriens
Zahlreiche Veranstaltungen siehe:
www.bellpark.ch
Mi–Fr 14 – 17 Uhr
Sa–So 11 – 17 Uhr
bis 10. November 2019

© David Jäggi
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