15.3.2024

Zugewandt, robust und adaptiv

Riken Yamamoto erhält den Pritzker Preis 2024

Der diesjährige Pritzker Preis geht an den japanischen Architekten Riken Yamamoto aus Yokohama. Die seit der Bürogründung 1973 realisierten Projekte in Japan, China, Korea und Taiwan reichen von kleinen, privaten Wohnhäusern bis zu grossformatigem Städtebau, Wohnquartieren, Schulen, Universitäten, Institutionen, Museen und öffentlichen Gebäuden. Hierzulande ist Yamamoto erst seit dem 2020 am Flughafen Zürich eröffneten Quartier The Circle ins Bewusstsein gerückt (vgl. wbw 6–2021).

Der durchlässige, lebendige Austausch und die Resonanz zwischen Innen und Aussen sowie zwischen Privat und Öffentlich wird in seinen Projekten immer wieder neu gedacht, gebaut und gelebt. Durch analytische Tiefe, Entschiedenheit in der oft unbequemen Auseinandersetzung mit politischen wie ökonomischen Sogkräften und bürokratischen Hürden ist es ihm gelungen, seine Konzepte immer wieder auch im Grossmassstäblichen umzusetzen.

Gegen den Oberflächen-Zauber arbeiten

Dabei sperrt sich Yamamotos Architektur wohltuend gegen eine oberflächliche Vereinnahmung durch eine Haltung, die ganz ohne nostalgische Zitate, aufdrängende Effekte oder repräsentative Äusserlichkeiten auskommt. Er zeigt ein ungewöhnliches Gespür dafür, auch grosse, urbane Volumen inhaltlich und visuell in feine, elegant gekörnte, dabei oft modular deklinierte und farblich reduzierte Geflechte von menschlicher Massstäblichkeit herunterzubrechen. Die Hiroshima Nishi Feuerwache (2000) beispielsweise steht als kristalliner Kubus im dichten, urbanen Kontext und macht im abendlichen Licht das sonst unsichtbare Innenleben und damit die Mühen und das tägliche Training eines oft schwierigen Berufsfeldes sichtbar.

Wo industrielle Akteure in Japan neue Formen von Gated Communities realisieren, in denen der Zugang und die Interaktion von Menschen zunehmend mithilfe von KI und Überwachung limitiert wird, geht der Ansatz von Riken Yamamoto den entgegengesetzten Weg. Beim Shinonome Canal Court Quartier (2003) im Hafen von Tokio konnte er sich durchsetzen, die üblichen Standard-Wohnungsrundrisse auf den Kopf zu stellen, zu flexibilisieren und sekundäre Funktionen zur Fassade zu orientieren. Statt der üblichen blickdichten Stahltüren wurden zudem die inneren Erschliessungsgänge transparent gestaltet. So werden zum einen neue, auch unvorhergesehene Wohnformen und Lebensentwürfe erleichtert. Gleichzeitig wird die Integration von Klein-Gewerbe, Homeoffice, Versorgungskonzepten, Pflege und Erholung ermöglicht. Das Quartier atmet bereits viele der Qualitäten, die in Paris und anderswo mit dem künftigen Konzept der 15-Minuten-Stadt postuliert werden.

Während die Lebensdauer von Gebäuden auf dem Archipel oft nur 20 bis 30 Jahre beträgt, zeigen sich die aus dem Büro von Riken Yamamoto erstaunlich widerstandsfähig gegenüber Zeit und wandelnden Anforderungen. Sie sind offen für Transformation bei übersichtlichem Aufwand.

Eine Bar im eigenen Haus betreiben

Im Gespräch reflektiv, kritisch, zugänglich, neugierig, heiter, uneitel, und nebenbei immer an Ideen und Räumen von Morgen skizzierend, wird Riken Yamamoto im kommenden Jahr Achtzig. Ein eigenes, neues Bürogebäude ist eben bezogen – von Müdigkeit keine Spur. In diesem Jahr erscheint in Japan eine Auswahl theoretischer Schriften, darin finden sich Einsichten aus frühen und aktuellen Forschungsreisen in nordafrikanische Länder und ein Bezug zu Hannah Arendts Hauptwerk Vita Activa. Die konstante Lust und Suche nach inspirierenden, den Moment stützenden Lebensräumen zieht sich durch Yamamotos umfangreiche Lehrtätigkeit und mediale Präsenz bis ins Private: Im Dachgeschoss seines Hauses sind die Rückzugsräume um eine offene Agora angeordnet, die zur Gemeinschaft einlädt. Im Parterre des Gebäudes findet sich inzwischen, nachdem Alternativen in der Nachbarschaft wegbrachen, eine von der Familie geleitete, öffentliche Bar.

Mit Riken Yamamoto geht der Pritzker Preis zum achten Mal nach Japan. Neben der geografischen Verteilung ist auch der weibliche Anteil in Schieflage, nicht nur unter den Ausgezeichneten, sondern auch in der Zusammensetzung der Jury. Nebst den drängenden Fragezeichen in diesem Punkt soll ein Preis auch dazu einladen, ein Lebenswerk näher zu betrachten, dass die Gemeinschaft, den Menschen und das Zwischenmenschliche unprätentiös und konsequent in den Mittelpunkt stellt: Architektur im besten Sinne, niederschwellige, zugewandte und adaptive Möglichkeitsräume, am Puls der Zeit. Damit sind die von Riken Yamamoto ausgehenden Spuren auch für die internationale Architekturlandschaft nachhaltig inspirierend und mit dem Pritzker Preis sehr überzeugend gewürdigt.

— Jan D. Geipel

Jan D. Geipel (1968) lebt in Stuttgart und Tokyo. Er ist Architekt, Professor, Kurator, Autor, sowie Gründer von boussolecoaching.de. Neben beruflichen Aufenthalten in Kopenhagen, Basel und Genf arbeitete er mehrere Jahre im Büro von Riken Yamamoto in Yokohama.

© Ungewohnte Einblicke in den Alltag von Feuerwehrleuten: die Hiroshima Nishi Feuerwache (2000). Bild: Tomio Ohashi
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