Es gibt viel zu tun

Architekturpraxis und -vermittlung in Tansania

Caspar Schärer

Was taugen erlerntes Wissen und Können in einem völlig anderen Umfeld? Annika Seifert und Gunter Klix leisten architektonische Basisarbeit in der Grossstadt Daressalam in Tansania.

Es war wohl Abenteuerlust, die Annika Seifert und Gunter Klix 2009 nach Ostafrika führte. Auf einer mehrmonatigen Reise machten sie Halt in Daressalam, der grössten Stadt Tansanias. «Diese Stadt, in der so viel möglich ist und in der eine ganz faszinierende urbane Kultur gepflegt wird, hat uns seither nicht mehr losgelassen», schwärmt Annika Seifert bei einem kurzen Besuch in Zürich. Auf die Reise gingen sie nicht ohne Hintergedanken: Die beiden Architekten spürten ein Bedürfnis nach Ausbruch aus den europäischen Konventionen ihres Berufs. Seit 2010 leben Seifert und Klix in der tansanischen 5-Millionen-Metropole und arbeiten an dem, was man hierzulande ganz nobel «Baukultur» nennen würde. Dort, in Daressalam, ist es Basisarbeit. Doch der Reihe nach.

Sinnfragen

Annika Seiferts und Gunter Klix’ Werdegang war zunächst ganz konventionell: Studium an der ETH Zürich, anschliessend sofortiges Anheuern in so genannten Autorenbüros – er fing bei Meili, Peter Architekten an, sie ging zu von Ballmoos Krucker, beides Büros in Zürich. Die unangenehmen und doch unausweichlichen Fragen kamen nach vier, fünf Jahren, erinnert sich Seifert. Wie geht es jetzt weiter ? Was will ich wirklich in dem Beruf ? Sinnfragen halt, denen gerade Architekturschaffende mit besonderer Schärfe ausgesetzt sind: Im Studium werden sie nach wie vor zu Einzelkämpfern ausgebildet, die in direkter Nachfolge der grossen Helden die Fackel der Architektur weitertragen sollen. Die Wucht des Aufpralls in der bauwirtschaftlichen Realität ist deshalb heftig.
Gunter Klix scheut sich nicht, seine damalige Unsicherheit zu benennen: «Ich habe nicht die Motivation aufgebracht, ein eigenes Büro zu eröffnen. Was will ich in einem Land wie der Schweiz, in einer Stadt wie Zürich beitragen, was nicht hundert andere Leute auch gut können?» Das baukünstlerische Niveau sei natürlich fantastisch hoch, andererseits herrschten viele Konventionen, eine Art Kanonisierung dominiere das Architekturschaffen in der Schweiz. Als Beispiel für das Gefängnis der Regeln und Normen nennt Annika Seifert Energiestandards wie Minergie-P-Eco, die sie in der Arbeit mit antiarchitektonischen Hindernissen oft frustriert hätten. In Ostafrika dagegen trafen sie auf eine moderne Architektur, die ganz selbstverständlich und mit architektonischen Mitteln auf die Herausforderungen des Klimas reagiert. Für ihre Studie der tansanischen Moderne erhielten Seifert und Klix 2010 das Forschungsstipendium des BSA; die Ergebnisse ihres Süd-Nord-Transfers publizierten sie in einem schön gestalteten Buch.1

Vermittlung und Aufbau

So sehr die «Reise nach Afrika» danach klingen mag, Aussteiger im klassischen Sinne sind die beiden deutschen Architekten nicht. Die Anbindung an das europäische «Mutterschiff» bleibt wichtig, die geringe Zeitverschiebung von nur einer Stunde macht Transfers zwischen den Kontinenten einfacher. «Der Wechsel von Daressalam nach Zürich ist sowohl fundamentaler», sagt Klix, «wie auch fliessender als ursprünglich angenommen». Der Kontinentalsprung geschieht inzwischen öfter: Seit Herbst 2015 sind beide Dozenten an der Hochschule Luzern und dort im Masterstudiengang Fokusverantwortliche für Architektur und Energie. Hauptwohnsitz bleibt aber zunächst Daressalam, denn dort gibt es viel zu tun. Annika Seifert beobachtet, wie sich in der Stadt eine neue Mittelschicht etabliert, die sich für die kulturelle Identität ihres Landes interessiert. Dazu gehört auch das bauliche Erbe, um das sich bis anhin niemand gekümmert hat. Zusammen mit tansanischen Kollegen und verschiedenen Organisationen baute sie ein zivilgesellschaftliches Zentrum für Architekturkultur auf: Das Dar es Salaam Centre for Architectural Heritage (DARCH), wurde im Juni vom Staatspräsidenten John Magufuli feierlich eingeweiht. Es ist in einem renovierten Gebäude aus der Zeit der Kolonialisierung durch die Sultane von Oman untergebracht – mit seinen 160 Jahren eines der ältesten Häuser der Stadt. Alleine dadurch repräsentiert es ein Geschichtsbewusstsein, das sich aus einer komplexen, von immer neuen Besatzern geprägten Vergangenheit erst langsam herausbildet. Da zwischen 1885 und 1918 auch das Deutsche Kaiserreich zu den Kolonialmächten gehörte, war die Beteiligung an dem Projekt für Seifert zu Beginn eine Gratwanderung: «Ich hätte mich nicht darauf eingelassen, wenn ich nicht ausdrücklich von tansanischen Mitstreitern dazu eingeladen worden wäre.» Neben einer von ihr kuratierten Dauerausstellung über die Stadtgeschichte Daressalams organisiert das Architekturzentrum Bildungsangebote für Studierende und praktizierende Architekturschaffende und übernimmt Beratermandate, etwa für die Regierung und die Weltbank.
Mit dem Thema des Aufbaus ist auch Gunter Klix konfrontiert. Zusammen mit einem Partner gründete er doch sein eigenes Büro2 – und gehört damit jetzt zu den rund 260 Architekturfirmen, die in dem 50-Millionen-Land registriert sind. Eine «Szene» existiert unter solchen Umständen nicht, kein Austausch, keine Peer group, keine Referenzen, keine Debatte. Der Architektenberuf ist in Tansania ganz jung. Erst seit den 1990er Jahren wird an der Universität ein Studiengang angeboten. Trotzdem macht Klix keine Kompromisse: «Ich versuche, das Arbeitsumfeld so zu strukturieren, dass es in seiner Organisation und Zuverlässigkeit wie ein Schweizer Büro in Tansania funktioniert.» Konkret heisst das, dass Klix in seine Mitarbeiter investiert, zurzeit sind das zehn Ostafrikaner neben fünf Europäern. Er übernimmt die praktische Ausbildung, schult sie im Entwerfen und pflanzt ihnen das Selbstbewusstsein ein, das sie brauchen, um alleine an Sitzungen mit Bauherren bestehen zu können. Wenn die Jungstars soweit sind, wird Klix ihnen eine Teilhabe am Büro anbieten. Die Investition in das Humankapital soll sich schliesslich auszahlen. Über die Wiederentdeckung lokaler Materialien und traditioneller Konstruktionsweisen entwickelt er mit seinem Team eine zeitgenössische Architektur in und für Daressalam. An Bauaufgaben mangelt es nicht: Wohnbauten, Schulbauten, Spitäler, das ganze Programm einer rasant wachsenden Stadt.
Doch was heisst schon «wachsen» bei einer ostafrikanischen Metropole? Annika Seifert und Gunter Klix beschreiben es so: «Wir leben in einer Welt, die heute signifikant besser ausgerüstet ist als noch einen Monat zuvor.» Am deutlichsten spürbar sei aber die im Vergleich zu Europa komplett andere demografische Situation: «Um uns herum sind fast nur junge Menschen – sie alle wollen etwas erreichen und blicken mit Neugier auf das, was da kommen mag.»

1 Annika Seifert und Gunter Klix, Hitzearchitektur – Lernen von der afrikanischen Moderne, Zürich 2012.

2 APC – Architectural Pioneering Consultants

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