Kunst des Fügens

Studienauftrag zur konstruktiven Forschung im Stahlbau

Tanja Reimer

Forschendes Entwerfen: Der wirtschaftlich konkurrenzfähige und konstruktiv durchdachte Einsatz von Stahl im Wohnungsbau war Thema einer Kooperation zwischen Hochschule und Praxis – jenseits der Zwänge und Konventionen des Alltags.

«Die konstruktive Leidenschaft im architektonischen Entwurf droht vermehrt unter der Last von Anforderungen und Expertisen zusammenzubrechen und in einer Bilderflut zu versinken. Der Studienauftrag Case Study Steel House schafft daher Raum für einen entwerferischen Dialog der Konstrukteure. (…) Die Entwicklung übertragbarer Konzepte steht dabei ebenso im Fokus wie die Initiierung einer Auseinandersetzung mit der Kunst des Fügens.»

Mit diesem Aufruf richtete sich im Juni 2016 das Institut Konstruktives Entwerfen am Departement Architektur, Gestaltung und Bauingenieurwesen der ZHAW an Architekten und Bauingenieure. Der Studienauftrag Case Study Steel House bot eine Laborsituation, um sich frei von Zwängen, Termin- und Kostendruck konstruktiven Fragen von Stahl im Wohnungsbau zu widmen und dabei eigens formulierten Thesen nachzugehen.
Lassen sich durch die Kunst des Fügens etablierte Grenzen des Möglichen verschieben, oder ist die seltene Anwendung von Stahl im mehrgeschossigen Wohnungsbau unverrückbar in den Materialeigenschaften und in der Schweizer Baukultur verankert? Es waren Beiträge gesucht, die dies lustvoll ausloten und dabei auch eine Haltung zu gesellschaftlichen Fragen repräsentieren. Welche Wohnräume ersehnen sich die Teilnehmenden für die Zukunft?

Raum für Experimente

Die Motivation für dieses im Rahmen der angewandten Architekturforschung unübliche Projekt liegt in der tiefen Überzeugung, dass die forschende Auseinandersetzung mit konstruktiven Fragen überhaupt erst die Grundlage bildet, um als Disziplin mit einem generalistischen Selbstverständnis eigene Impulse auslösen zu können. Der architektonische Entwurf ist dazu das wirkungsvollste Werkzeug – zumindest dann, wenn er der Erkenntnisproduktion dient und nicht bloss, wie so oft in der bauwirtschaftlichen Realität, der Umsetzung vorgezeichneter Lösungswege.
Der Rahmen für ein derartiges Projekt muss dementsprechend Fragen aufwerfen und nicht messbare Zielwerte vorgeben. Als Übungsanlage wurden zwei programmatische und konzeptuelle Szenarien formuliert, die sinnfällige Bedingungen für den Stahlbau aufweisen. Die Wettbewerbsaufgabe sollte als Motor wirken und nicht Schranken setzen.
Ein weiteres Ziel des Projekts war es, Raum zu schaffen für einen fachlichen Diskurs. Nicht die Realisierung von Projekten stand im Vordergrund, sondern das Experiment und dessen Reflexion. Konstruieren ist a priori ein gestaltgebender Prozess, sodass die Kooperation zwischen Architektur und Bauingenieurwesen ihre grösstmögliche Wirkung dann entfalten kann, wenn man sie von Beginn an lebt. Ein Begleitgremium mit Vertretern beider Disziplinen und zusätzlichen Fachexperten wirkte im Rahmen einer Zwischen- und Schlussbesprechung als kritisches Gegenüber.

Inspiration zum Weiterforschen

Aus vierzig Bewerbungen wurden sechs Teams zur Teilnahme selektioniert, deren Arbeiten hier nun präsentiert und zur Diskussion gestellt werden. Die Autorschaft und Interessen der Verfasser, aber ebenso auch ihre Arbeitsweise prägen die individuellen Forschungsfragen. Es resultierten neuartige Anwendungsformen und Materialkombinationen, die einer konstruktiven Vertiefung oder gar materialtechnologischer Grundlagenforschung bedürfen – sowie Prinzipien und Systeme, die in einem nächsten Schritt direkt von der Konfrontation mit der produzierenden Industrie profitieren, und schliesslich auch relevante Wohn- und Raumkonzepte. Die inhaltliche Breite und konstruktive Tiefe der Arbeiten belegt die ungebrochene Neugier ihrer Verfasser. «Ein Wesenszug des Experimentierens und Improvisierens im Architektonischen beinhaltet immer ein inneres Suchen und Drängen, das die äussere Form sprengt» schreiben Meili, Peter und Drewes + Speth auf ihren Abgabeplänen. Und weiter: Dennoch, wir vergessen nicht, in der Gemeinschaft der Konstrukteure und Techniker gilt, dass man sich nicht leicht vom negativen Ausgang eines Experimentes entmutigen lässt, denn die Geschichte der Anstrengungen in der Technik folgen unbarmherzig Nietzsches Aphorismus: «Die Anstrengungen sind unendlich viel grösser als der Ertrag.» In diesem Sinne bilden die Arbeiten eine nährreiche Grundlage für ein Fortschreiten. Im besten Fall wirken sie als Impetus, von dem die Baukultur und die Gesellschaft profitieren.

Tanja Reimer ist Architektin und engagiert sich am Institut Konstruktives Entwerfen der ZHAW an der Schnittstelle zwischen Forschung und architektonischer Praxis. Sie schreibt regelmässig für werk, bauen + wohnen.

Case Study Steel House. Kunst des Füigens
Studienauftrag mit Präqualifikation Konstruktive Forschung im Stahlbau

Ausloberin
ZHAW, Departement Architektur, Gestaltung und Bauingenieurwesen Institut Konstruktives Entwerfen
in Kooperation mit
Stahlbau Zentrum Schweiz SZS und werk, bauen + wohnen
Begleitgremium
Andrea Deplazes, Frank Escher, Patric Fischli-Boson, Mario Fontana, Patrik Hämmerle, Patrick Heiz, Michael Herrmann, Tibor Joanelly, Daniel Meyer, Tanja Reimer und Astrid Staufer
Teilnehmende Teams
Boltshauser Architekten und Conzett Bronzini Partner
Burrus Nussbaumer architectes und Ingeni
Julia Hemmerling und Joseph Schwartz
Meili, Peter & Partner Architekten und Drewes + Speth
Pascal Flammer und Lorenz Kocher
Ressegatti Thalmann Architektinnen und Mario Rinke
Grundeigentümer
HIAG Immobilien (Kontext A)
SBB Immobilien (Kontext B)
Unterstützt durch
SZS Stahlpromotion Schweiz
BSA Bund Schweizer Architekten
SIA Schweizerischer Ingenieur- und Architektenverein

Ausstellung
15. September bis 1. Oktober 2017
Grosse Ausstellung mit 1:1 Mock-ups
SBB Werkstätten Zürich, Halle D
Hohlstrasse 400, 8048 Zürich
www.zhaw.ch/ike/cssh

Advertisement

Subscribe to werk, bauen + wohnen and don't miss a single issue, or order this issue.