Lernen im Wald

Schmuttertal-Gymnasium Diedorf von Hermann Kaufmann und Florian Nagler Architekten

Florian Aicher, Stefan Müller-Naumann (Bilder)

Das Ensemble aus vier Körpern besticht durch den konstruktiven Einsatz des Holzes, das sichtbar belassen wurde. Möglich macht dies eine schlaue Verbindung mit dem Beton: Eine Addition der guten Eigenschaften.

Bauen und Ökologie – das ist heute in aller Munde. Ernst Haeckel, der streitbare Begründer der Ökologie, definierte diese 1866 als «die gesamte Wissenschaft von den Beziehungen des Organismus zur umgebenden Aussenwelt». Es geht mithin um ein lebendiges System, ein Ganzes. Bauen, das heute Ökologie im Namen führt, hat dagegen meist nur eines im Sinn: Energie sparen.
Beim Schmuttertal-Gymnasium liegen die Dinge anders. Dem Bauherrn, dem Landkreis Augsburg, geht es um neue Akzente zukunftsfähiger, nachhaltiger Bildung; als Partner steht ihm die Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU) massgebend zur Seite. Diese entwickelt und fördert innovative, modellhafte Vorhaben zum Schutz der Umwelt.

Gemeinschaftsorientierte Lernformen

Programm, Planung, Bau: Die Vernetzung aller Aspekte macht Bauen nachhaltig. Drei Projektziele werden genannt: die neue Pädagogik der «Lernlandschaft», die Unbedenklichkeit der Baustoffe und der Holzbau. Diesen Ansprüchen entspricht ein iteratives Planungsverfahren – unter Einbeziehung der Nutzer von Beginn an.
Das Stichwort Lernlandschaft ist die Antwort auf den Umstand, dass die Schule zunehmend Lebensort wird und Lernen eine Lebensform. Der Frontalunterricht wird zurückgedrängt durch vielfältige Lernpraktiken – individuell, medial, in Gruppen mit oder ohne Lehrkräfte. Bewegung ist wichtig; was morgens im Klassenzimmer beginnt, setzt sich mit der Parallelklasse auf dem «Marktplatz» fort, führt zur Vertiefung am Bildschirm, bevor man wieder in der Mensa zusammentrifft. Das hat Folgen für die Räume. Bereiche der Gemeinschaft werden wichtiger, funktionale Engführung wird aufgebrochen – Flure etwa werden Teil der Lernlandschaft. Dass diese Gemeinschaftsräume «Marktplätze» heissen, ist kein Zufall: das Zentrum des Gemeinwesens ist angesprochen. Dieses Zentrum hat hier die Form einer Säulenhalle – ein Bautyp aus der europäischen Geschichte; vom antiken Peristyl bis zur Basilika, präsent seit Jahrhunderten, bis hin zu grösseren Dorfkirchen der Gegend.

Wald als Bauprogramm

Der stützenumstandene Raum der Gemeinschaft, gefasst durch Wandelgänge, dann der individuelle Raum. Hier: Marktplatz, Flur, Klassenraum. Die Stütze erhält in diesem Raumgefüge prominente Präsenz. Schlanke Holzstützen über mehrere Geschosse, ein Gefüge, das die Architektur charakterisiert, denn die Stützen stehen ungewöhnlich eng. Das setzt sich in der engen Sparrenlage des Dachs fort. Von dort fällt Tageslicht gefiltert ins Innere. Unwillkürlich stellt sich eine Analogie ein: Wald.
Der Landrat erklärt, eigentlich habe die Schule ja schon immer bestanden – in den Auenwäldern der nahen Schmutter, einem mäandernden Bach. Ein metaphorischer Hinweis, aber auch Bauprogramm: Neben der Atmosphäre, die es zu erzeugen vermag, ist Holz seiner Nachhaltigkeitsqualitäten wegen der Stoff der Wahl. Verfügbarkeit, kleine Kreisläufe, geringer ökologischer Fussabdruck, schadstoffarm, geringe Lebenszykluskosten, CO₂-neutral: zahlreich sind die Gründe für dieses Material.
Doch Holz ist auch kulturelle Ressource: Alpen und Voralpenland sind Gegenden hoch entwickelter Holzbaukultur. Darauf lässt sich zurückgreifen, daher kommen neue Impulse. Holzbau bedarf, soll er sich am Markt behaupten, vielfältiger Innovation, und: Holzbau weist heute ein breites Spektrum an Konstruktionen auf. Die Schule in Diedorf ist strukturell ein Stabbauwerk, ein Skelettbau – so der Statiker Konrad Merz. Das Ungewöhnliche daran ist die Dichte und die heute kaum mehr praktizierte Sichtbarkeit der Konstruktion. Frappierende Details ergeben sich so – etwa die geschossweise gesteckte Gabelstütze mit kraftschlüssiger Lastabtragung senkrecht zu ihrer Faser.
Skelettbau ist durch eine strenge modulare Ordnung geprägt. Die serielle Struktur der Elemente liegt auf der Hand. Beste Bedingungen für Vorfertigung, die im modernen Holzbau Standard ist; die Produktion erfolgt witterungsunabhängig in der Werkstatt. Dem Zimmerer weht nur noch kurz der Wind um die Nase, alle Folgearbeiten geschehen unter Dach. Dank vorgefertigter Elemente der Tragkonstruktion sowie der Fassaden mit Fenstern konnte der ambitionierte Terminplan gehalten werden.

Neue Systeme im Verbund

Zu den Neuerungen zählen die Holzverbundsysteme. Unterschiedliche Stoffeigenschaften sind in einem Bauteil gebündelt – etwa die Druckfestigkeit von Beton mit der Zugfestigkeit von Holz bei Holz-Betondecken. Unterschiedliche Vorfertigungsgrade werden praktiziert, im vorliegenden Fall ist es eine durchgehende Ortbetondecke auf verlorener Schalung des Holzfertigteils. Integration der Installationen in der Balkenebene und geringe Deckenhöhen werden so möglich. Damit bleibt das Fluchtwegniveau des zweiten Obergeschosses unterhalb eines kritischen Wertes; eine moderate Brandschutzklasse bleibt gültig. Was an Brandschutz bleibt, konnte in Absprache mit der Behörde durch intelligente Fluchtwege gemeistert werden.
Die Nachhaltigkeit des Baustoffs Holz steht ausser Diskussion – die Komplexität von Holzbauteilen, etwa einer Fassade, wirft dagegen Fragen auf: Was ist mit den Komponenten vielschichtiger Konstruktionen, mit luftdicht verklebten Dampfsperren? Heutiger technischer Standard ist da baustofflich und konstruktiv weiter – Stichwort: Diffusion ja, Konvektion nein. So wurden auch in Diedorf alle Fassadenelemente im Blower-Door-Test geprüft. Zudem: Bei diesem Bau wurde jeder eingesetzte Baustoff untersucht, insbesondere im Hinblick auf seine Innenraumbelastung. Knapp 600 Produkte mit 3000 Dokumenten wurden überprüft. Die gemessenen Werte der Raumluftqualität unterschreiten die anspruchsvollsten Zielwerte der DGNB deutlich.
Daran hat Holz im vorliegenden Fall einen erheblichen Anteil. Holz kommt nicht nur als stabförmiges Tragwerk vor – zum Beispiel als das, was in Bayern die sogenannten «Kistler» machen: Kisten, Kästen, Schränke, Hohlkörper bis hin zum Resonanzkörper von Instrumenten. Flach gearbeitetes Holz ergibt kraftschlüssige, formhaltige Körper.
Holz in Diedorf, das ist: Stab und Körper. Während einerseits die Dichte im Auftritt der Stäbe die Atmosphäre des Raums prägt, sind es an seiner Peripherie Holzwände, die eigentlich Hohlkörper sind. Sie bergen Lüftung, Medien, Wasser, aber auch Garderoben der Schüler, Stauraum für den Unterricht und vieles mehr. Als hätte Louis Kahn aus filigranem Holz seine dienenden Räume geschaffen, schiebt sich diese durchlässige Membran zwischen Klassenzimmer und Gemeinschaftsraum.
Ein Holzbau aus dem Geist des Holzes, technisch und logistisch auf der Höhe der Zeit. Dass die äussere Erscheinung von den Heustadeln in den Feldern inspiriert ist, gehört zu den vordergründigen Analogien. Holz ist als Stoff anisotrop, das heisst mit unterschiedlichen Eigenschaften längs oder quer zur Faser, daher rührt seine stoffliche Bandbreite und Ausgewogenheit – ein Glücksfall für ein Gebäude mit starker Belastungsschwankung. Die Struktur, klar und streng, gewährt Offenheit und Geborgenheit; die Raumschale, entschiedene Trennung der Raumgruppen, lässt sich aufs Vielfältigste füllen. «Die Räume leben vom Wechsel von Dynamik und Ruhe, einzeln und gemeinsam, von den Übergängen, gleitend, mehrdeutig», bilanziert Hermann Kaufmann. Florian Nagler präzisiert: «Holzbau erlegt uns Disziplin auf; doch er ist nichts für platonische Geometrie. Er hat Spannung, Leben, Sentiment.»
Vielfalt und Klarheit: Das ist das pädagogische Programm. Erstaunt es also, dass Architektur, die das umsetzt, indem sie darüber hinausgeht, den Händen von Architekten entstammt, die beide mit dem Stoff seit ihrer Zeit als Zimmerer vertraut sind? Das Team, das an Programm und Bauplanung von Anfang an mitgewirkt hat, sieht seine Erwartungen mehr als erfüllt – dank einer Architektur, die aufs Ganze geht.

Florian Aicher (1954) ist freier Architekt und Publizist. Lebt in Rotis bei Leutkirch im Allgäu.

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