Die Guten unter den Schönen

Fünf Punkte für eine bessere Architekturfotografie

Roland Züger

Regelmässig erreichen unsere Redaktion Fotos, die weder das Werk noch seine Idee angemessen repräsentieren. Sie sind farblich stilisiert und beschnitten an Kontext, leer an Menschen und Menschlichem. Das soll nicht länger so sein: fünf Verbesserungsvorschläge.

Ob man mit dem Körper oder mit den Augen besser sehen kann, bleibt eine rhetorische Frage. Aber für die Vermittlung bildet sie den Kern eines grossen Problems: der Repräsentation der Architektur.
Während Architektur mit allen Sinnen wahrgenommen wird, reduziert die Fotografie alle optischen Eindrücke auf zwei Dimensionen. Aber was sagen uns Museen ohne Exponate, Cafés ohne Menschen, Städte ohne Leben? Nur eine eigenständige Erzählung im Bild, durch eine veritable Autorschaft des Fotografen vermag es, dieser Repräsentationsfalle zu entkommen. Starke Bilder rücken «unsichtbare Qualitäten» der Architektur wieder ins Bild.
In folgenden fünf Aspekten finden wir diese Qualitäten: Im Gebrauch der Architektur, in der Abbildung von Menschen als Benutzer, in der Berücksichtigung der Kontexte der Architektur, unterschiedlicher Witterungsverhältnisse mit ihrem Einfluss auf das Bild der Architektur, genauso wie ihr immanenter Zeitbezug.

I. Gebrauch

Architektur taugt bestens als fotogene Oberfläche. In ihrer Eignung zur Metapher wird sie derzeit auch von der bildenden Kunst geschätzt. Die Fotografie als Kunst hat die Differenz zum Alltag im Blick, will über das Alltägliche hinausweisen. So bedient sich die Fotografie aller Art von Heroisierungen: starker Symmetrien und Kontraste, menschenleerer erhabener Projektionsflächen – Modell mehr denn Realität.
Architektur ist aber keine autonome, sondern eine soziale Kunst. Ihr Zweck ist immer auch ein dienender, denn sie operiert in einem gesellschaftlichen Spannungsfeld.1 Um Architektur aber beurteilen zu können, braucht es den Test ihrer Alltagstauglichkeit. Ein wirksames Kriterium dafür ist der Gebrauch. Der Gebrauch von Architektur ist der Grund, weshalb die Reportage- und Streetfotografie (Henri Cartier- Bresson, Robert Frank, Lee Freelander, Helen Lewitt) von inspirierender Lebendigkeit ist. Architektur als Sujet soll nie zum Selbstzweck werden. Warum wird der Alltag meist aus den Bildern verbannt?

II. Mensch

Wenn man der Aussage des italienischen Architekten Carlo Mollino Glauben schenken mag, verlagert sich seit den Surrealisten die Bildproduktion zeitlich nach hinten und ist heutzutage in der Postproduction angekommen, so formulierte er es in seiner Schrift «Aus der Dunkelkammer» bereits 1949.2
Mit einem Blick nach vorne müsste man somit heute von einem Perception-Management sprechen. Mit den Menschen in der Architekturfotografie scheint es jedoch paradox: Einerseits sind sie aus den Renderings der Architektur, also den Vor-Bildern der Architekturfotografie, heute nicht mehr wegzudenken. In dieser selbst jedoch spielen die Menschen andererseits keine grosse Rolle. Mit ihrer Abwesenheit verabschiedet sich vielfach auch die Auskunft über Massstab und Funktion. Waren es zu den Anfängen der Fotografie noch technische Probleme durch lange Belichtungszeiten, sind es heute andere Unpässlichkeiten: zum Aufnahmezeitpunkt sind keine Menschen vor Ort, sie tragen «falsche» Kleider oder stehen kompositorisch an ungünstigen Stellen. Abhilfe schaffen Inszenierungen mit gecasteten Menschen. Sie posieren in Situationen, Kleidern und mit Gesten, die zur Architektur passen und unterstreichen die Bildidee. Warum halten Menschen und Tiere nicht öfter Einzug in die Architekturfotografie?

III. Kontext

Unbefriedigende Architekturfotografie leidet in den allermeisten Fällen unter einem zu starken Beschnitt des Motivs. Getrieben von der Angst der Auftraggeber und Fotografen, irgendetwas könnte von der Architektur ablenken, wird alles Verdächtige weggeschnipselt. Ins Abseits des Ausschnitts fallen somit auch alle städtebaulichen Aussagen eines Bauwerks: Wie es sich zu seinen Nachbarn, zur Strasse oder zum Grünraum verhält. Gerade für eine kontextuell gedachte Architektur ist es zentral, die Referenzen zu Motiven vor Ort auch in der Bilderzählung zum Sprechen zu bringen. Erst dadurch offenbart sich die Architektur als präzise Setzung und die Architekturfotografie als ihre Erzählung. In frühen Städtepanoramen beinhaltete diese Erzählung gar ökonomische und soziale Aspekte. Das Hinterland von Städten war beispielsweise im Vordergrund präsent und vermittelte bereits einen Eindruck davon, welche Wirtschaftszweige die regionale Wertschöpfung in Gang halten und welche Produktionsbedingungen auch auf die Architektur Einfluss nehmen. Warum nur sind so selten die Baustelle, die Bauarbeiter und der Maschinenpark Teil der Bilder?

IV. Wetter

Die Diskussion um die richtige Beleuchtung und Belichtung – Light-Box-Himmel oder Sommer Mittagssonne – ist so alt wie die Architekturfotografie selbst. Es ist offensichtlich: Jede Architektur steht mit dem Wetter auf engster Tuchfühlung. Eine der ursprünglichsten Funktionen der Architektur liegt ja im Schutz vor der Unbill des Wetters und anderen feindlichen Einflüssen. Das zeigt sich bei extremen Witterungsverhältnissen. Schönwetter-Fotografie dagegen ist oft langweilig – warum kriegen wir nicht mehr Regen auf Bildern zu sehen? Er findet selten Niederschlag in der Architekturfotografie. Immerhin in die Renderings hat es der Regen bei vereinzelten Projekten bereits geschafft, wohl wegen der schönen Spiegelung auf dem Asphalt. Vielleicht ist hier das Rendering der Architekturfotografie voraus. Dafür hat der Nebel in die Fotografie Einzug gehalten. Und von dort ist er jüngst auch in das Rendering eingekehrt, und sei es nur, um der Architektur etwas magische Anmut zu verleihen und sie dem Kontext zu entrücken. Warum aber gibt es so wenige Regenbögen in der Architekturfotografie?

V. Zeit

Die Belichtungszeit entscheidet über Wohl und Wehe des Bildresultats. Trotzdem zeigen Fotos in den meisten Fällen Momentaufnahmen, gefrorene Augenblicke. In den seltensten Fällen gelingt es aber, den festgehaltenen Moment so zu dehnen, dass weitere Aspekte wie etwa der Prozess des Bauens ins Bild rücken. Architektur wirkt nicht allein am Besuchstag des Architekturfotografen. Und Architektur wirkt jeden Tag in anderer Form. Die Zeit nagt an ihr. Sie setzt Patina an, bis sie schliesslich in ihrer Bestimmung mündet: der Erosion.
Bauten sind vergänglich, aber Fotografien sind monumental.3 Diese Erkenntnis ist umso bedeutsamer, seitdem auf der Basis von Fotos Architektur rekonstruiert wird. So ist heute der Aspekt des Archivs für die Fotografie interessant, denn Fotos sind auch Messinstrumente. Wie lassen sich die Spuren der Zeit im Bild bannen?

Auftaktbild: Alex Hartley, (aus der Serie LA Climbs), 2003. Steel House, Los Angeles, 1959, Pierre Koenig
Gebrauch: Philippe Ruault, 2012. Umbau Tour Bois le Prêtre, Paris, 2011, Druot, Lacaton & Vassal
Mensch: Iwan Baan, 2007. Nationalstadion Bejing, 2008, Herzog & de Meuron
Kontext: Heinrich Helfenstein, Forstwerkhöfe Turbenthal, 1994, Burkhalter Sumi Architekten gta Archiv, ETH Zürich: Vorlass Heinrich Helfenstein
Wetter: Marcel Meili, 1997. Perrondächer Hauptbahnhof Zürich, Meili & Peter Architekten
Zeit: Michael Wesely, Palast der Republik, Berlin (28. 8. 2006 – 19. 12. 2008) Pro Litteris

1 Guido Magnaguagno, Gegen Architekturfotografie. Eine Polemik, in: Trans 24/2014, S. 172–73.
2 Wilfried Kühn, Postproduction, im Ausstellungsführer der Schau Carlo Mollino, Maniera moderna im Haus der Kunst München 2011.
3 So hat es Philip Ursprung während den Recherchen zu diesem Heft auf den Punkt gebracht

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