Coole Häuser braucht das Land

Es ist ein weiterer heisser Sommer, der zum Bad im Freien einlädt. Und zum Nachdenken über die globale Erwärmung und ihre Folgen. Die aktuelle Ausgabe 7/8–2018 «Im Klimawandel» fragt nach den Auswirkungen des Klimawandels auf Architektur und Städtebau: Die Städte Karlsruhe und Zürich haben Klima-Masterpläne entwickelt, und junge Architekten setzen auf passive Konzepte, um Wärme und Kälte in den Griff zu bekommen.

Eine neue Studie am Institut für Gebäudetechnik und Energie der Hochschule Luzern zeigt nun auf, wie viel wärmer es in Schweizer Wohnungen künftig wird und wie sich das auf den Engergiebedarf auswirkt. Das Forschungsteam um Gianrico Settembrini simulierte im Auftrag des Bundesamtes für Energie und des Bundesamtes für Umwelt sowie in Zusammenarbeit mit Meteo Schweiz die Raumtemperaturen in vier real existierenden Gebäuden – zwei Neu- und zwei Altbauten in Lugano und in Basel – in einem keineswegs extremen Zukunftsszenario um die Mitte des laufenden Jahrhunderts. Die Ergebnisse sollten niemanden kalt lassen, der hierzulande in die Planung von Wohnbauten involviert ist.

Künftig mehr Kühlung als Heizung

Ein paar Zahlen: Bei einem Referenzgebäude, das den heutigen Baustandard repräsentiert (Massivbau, Minergie, mechanische Lüftungsanlage, aussenliegender, automatisierter Sonnenschutz) wurden für ein durchschnittliches Jahr der Referenzperiode 1980–2009 in Basel 27 Überhitzungsstunden (gemäss SIA 180:2014 eine Raumtemperatur über 26.5 Grad Celsius) berechnet. In einem warmen Jahr der Zukunftsperiode 2045–2074 stieg die Anzahl Überhitzungsstunden auf fast 900 an – unter Einbezug des städtischen Wärmeinsel-Effekts gar auf über 1200. Und die Erfüllung der geltenden Komfortanforderungen hätte massive Effekte auf den künftigen Energiebedarf: In einem durchschnittlichen Jahr der Referenzperiode wiesen die Räume einen Heizwärmebedarf von 7.5 kWh/m2a und praktisch keinen Klimakältebedarf im Sommer (0.1 kWh/m2a) auf. In einem warmen Jahr der Zukunftsperiode reduziert sich der Heizwärmebedarf um einen Drittel auf 5.0 kWh/m2a, derweil der Klimakältebedarf förmlich explodiert auf 8.2 kWh/m2a (mit Berücksichtigung des Wärmeinsel-Effekts auf 13.0 kWh/m2a). Wohnbauten, die heute im Schweizer Mittelland erstellt werden, wird man in der Mitte ihres Lebenszyklus also über den Jahresverlauf deutlich mehr Wärme entziehen als zuführen müssen, um sie im Komfortbereich zu halten.

Die Simulationen am Standort Lugano zeigen, dass die Auswirkungen der Erwärmung auf das Wohnklima südlich der Alpen noch tiefgreifender sind.

Hitze wird der entscheidende Entwurfsfaktor

Bei Altbauten, das zeigt die Studie ebenfalls, bleibt der Heizwärmebedarf – vor allem wegen ihrer kleineren Fensterflächen – auch künftig die dominierende Grösse. Für Neubauten bedeuten die Berechnungen der Studie aber die dringende Notwendigkeit eines Paradigmenwechsels in der klimatischen Betrachtung von Wohngebäuden: Das Winterszenario verliert an Bedeutung, die Anpassung an sommerliche Hitze müsste bereits heute entscheidender Entwurfsfaktor sein!

Der Nachweis des Energiebedarfs für Heizen und Kühlen aufgrund von Klimadaten der vergangenen 30 Jahre ist jedenfalls nicht geeignet, Gebäude zu errichten, in denen in 30 Jahren ganzjährig angenehm gewohnt werden kann. In den Worten der HSLU-Forscher: «Aufgrund der vorliegenden Studienergebnisse erscheinen verschiedene Massnahmen zielgerecht, um den Gesamtenergie- und Leistungsbedarf sowie die Behaglichkeit in Wohngebäuden über deren Lebenszyklus zu optimieren. Damit diese im Laufe des Jahrhunderts Wirkung zeigen können, ist eine umgehende Integration in Normen und Vorschriften zum Bauwesen anzustreben.» Da mit einer sofortigen Anpassung von Baunormen und -vorschriften kaum gerechnet werden kann, liegt es auch in der Verantwortung Architekturschaffender, dafür zu sorgen, dass Gebäude, die sie jetzt planen, ohne spätere Aufrüstung mit Klimageräten bewohnbar bleiben.

— Benjamin Muschg
© Arend Veenhuizen
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