Fügung = Haus

Ein weiteres Zusammentreffen mit dem Heft «Fügen in Holz» (wbw 5–2019): An der Hochschule Luzern HSLU haben Studierende im ersten Jahr traditionelle und aktuelle Holzverbindungen nachgebaut. Im Gegensatz zu den im Materialarchiv der ETH Zürich gezeigten Modellen ging der verantwortliche Dozent Wolfgang Rossbauer mit seinen Studierenden aufs Ganze. Die gezeigten Nachbauten verstehen sich je als Ausschnitt eines Gebäudes, und die Modelle lösen wie in einem Animationsfilm Einsichten und Bilder aus: Es gibt tatsächlich so etwas wie eine konstruktive Verschränkung zwischen Fügungs- und Raumprinzip. Das Fachwerkhaus aus dem 15. Jahrhundert ersteht vor dem inneren Auge als die zwingende Matrix seiner Versätze und Verzapfungen, die Stabkirche im norwegischen Borgund als gestricktes Gitter runder Pfosten und kantiger Balken. Auch moderne Holzkonstruktionen haben die Studierenden nachgebaut, einen «aufgelösten» Knoten aus Hélio Olgas Haus in Morumbi oder eine verschränkte Ecke der Totenstube in Vrin von Gion A. Caminada.

Die weitreichende Verbindung von Detail und Raum könnte man auch als «konstruktive Transzendenz» bezeichnen. Transzendent ist etwas, das durch seine materielle Gegenwart auf etwas Virtuelles verweist. Oder im Fall der Architektur eine Frage aufwirft, welche die Tektonik sozusagen auf den Kopf stellt: Wie muss ein räumliches System beschaffen sein, damit ein gewisses Fügungsprinzip Sinn macht? Das einfache Nachbauen von Holzverbindungen kann also eine ganze räumliche Welt erschliessen. Dass eine solche auch eine soziale Komponente in sich trägt, demonstrierte eine Performance anlässlich der Vernissage der Ausstellung: Aus ordentlich am Boden ausgelegten Einzelteilen setzten die Studierenden ihre Knoten-Ausschnitte zusammen und wurden so selbst Teil des konstruktiven Gewebes.

— Tibor Joanelly

Die Ausstellung im Foyer des Mäder-Saals der HSLU dauert bis 14. Juni.

«Fügen in Holz» kann im Shop bestellt werden.

© Wolfgang Rossbauer
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