Kämpfe statt Konsens

Mit Demonstrationen, Transparenten und Besetzungen wurde in den 1970er Jahren in der Schweiz gegen die «Zubetonierung der Landschaft» gekämpft. Auch einige jüngere Menschen können sich vielleicht noch an die Demonstrationen und Aktionen für Natur und Lebensraum erinnern. Dann brachten neue Gesetze zum Schutz von Natur und Landschaft eine gewisse Beruhigung. Experten erstellen seither in quasi automatischen Prozessen Gutachten, aufgrund derer über strittige Fragen entschieden wird.

Diese bürokratische und vielleicht etwas langweilige Einmütigkeit scheint nun vielleicht bald Geschichte zu sein. Die Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie des Ständerats hat jüngst ihren Entwurf zur Änderung des Natur- und Heimatschutzgesetzes (NHG) in die Vernehmlassung geschickt. Danach sollen künftig bei Interessenabwägungen zwischen Schutzzielen und Nutzungsinteressen nicht nur nationale, sondern auch kantonale Interessen berücksichtigt werden. Dies sei wichtig, so wird argumentiert, um den «Kreis möglicher Vorhaben zu erweitern», insbesondere im Bereich der erneuerbaren Energien. Im Wesentlichen heisst das, dass der Schutz national geschützter Landschaften oder Ortsbilder deutlich geschwächt wird, denn nun können schon Projekte von nur regionaler Bedeutung den Landschaftsschutz aushebeln.

Zielkonflikte zwischen Schutzinteresse und Energienutzung bestehen zweifellos. In der vielfach malträtierten Schweizer Landschaft ist es jedoch wichtig, dass die verbliebenen Schutzgebiete nicht für untergeordnete Interessen geopfert oder geschmälert werden. Gerade die Schweizer Landschaft ist aufgrund der politischen Organisation ihres Territoriums in der Gesamtheit ohnehin stark fragmentiert – und bisweilen unansehnlich geworden.

Eine weitere Neuerung will Gutachten der beiden eidgenössischen Kommissionen für Natur- und Heimatschutz (ENHK) und für Denkmalpflege (EKD) zurückstufen. Bis jetzt hatten diese nahezu bindenden Charakter, auch wenn oft externe Gegengutachten eingeholt wurden. Jene bezahlten Parteigutachten sollen in Zukunft den unabhängigen und wissenschaftlich fundierten Fachgutachten von ENHK und EKD gleichgestellt werden. Der Angriff ist leicht nachvollziehbar: Oftmals sind die eidgenössischen Kommissionen sehr viel unabhängiger von privaten Interessen als etwa die kantonalen Behörden – und für viele Schutzobjekte daher die letzte Rettung.

Beide Änderungsvorschläge zielen auf eine Schwächung des Bundes ab und laufen den eigentlich fortschrittlichen Zielen des Raumplanungsgesetzes zuwider. Raumplanung und Heimatschutz müssen in Belangen von nationaler Bedeutung Sache des Bundes bleiben! Eigentlich wundert man sich darüber, dass sich Schweizer ParlamentarierInnen derart um die Qualität der gebauten Umwelt und die Meinung von Experten foutieren. Oder sollte man sich gar nicht wundern? Das rechtsbürgerlich dominierte Parlament hat in letzter Zeit den Willen zum politischen Ausgleich aus den Augen verloren. Das ist auch beim Landschaftsschutz so, der sich in vielen Volksabstimmungen der letzten Jahre als breiter Konsens in diesem Land gezeigt hat. Kommt die Zeit der Demonstrationen und politischen Kämpfe um die Umwelt nun bald zurück?

— Tibor Joanelly
© Bundesamt für Kultur
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