Lust auf eine andere Stadt

Eine Idee wird Stück für Stück konkreter: Der Utopist und Autor Hans Widmer dachte sich vor 35 Jahren ein Konzept für eine bessere Welt aus. Da diese Gedanken heute aktueller denn je sind, spricht Hans Widmer Ende April an der Biennale i2a in Lugano über die Zukunft des Zusammenlebens.
Dabei ist die Idee so verrückt wie einfach. Stadt wird von den Menschen «gemacht», die dort wohnen und arbeiten. Indem sie gewisse Dinge wie etwa Autos schlicht und ergreifend nicht brauchen und weil möglichst vieles gleich in ihrer Nachbarschaft erreichbar ist, leben sie in mancherlei Hinsicht nachhaltiger. Und sie sind vor allem nicht einsam, denn sie leben in einer Gemeinschaft, in der vieles geteilt wird, das nicht jeder für sich alleine braucht.
Hans Widmer beschreibt diese Gemeinschaft in seinem 1983 publizierten Buch «bolo’bolo». Sie umfasst rund 500 Personen und versorgt sich über Bauernhöfe ausserhalb der Stadt sogar selber mit Nahrungsmitteln. Entstanden im Umfeld der Achtziger-Bewegung in Zürich, wurde das schmale Bändchen lange Zeit nur in eingeweihten Kreisen herumgereicht. Trotzdem: Die Idee war geboren. Sie war aber immer auf die konkrete Realisierung ausgerichtet und deshalb brauchte ihre Verwirklichung einige Jahre.
Die Kommune «Karthago» richtete sich noch in einem Altbau im Stadtzürcher Kreis 3 ein, «Kraftwerk 1» schaffte Mitte der 1990er Jahre schon einen Neubau in der Nähe des Hardturm-Stadions in Zürich. So richtig sichtbar wurde die «neue Lebensweise» mit dem Grossprojekt Kalkbreite an innerstädtischer Lage. Spätestens jetzt – um 2014 – wurde deutlich, dass die Idee gar nicht so unrealistisch ist. Natürlich konnte nicht alles umgesetzt werden, etwa die Selbstversorgung. Aber alleine schon, dass Wohnen und Arbeiten konsequent zusammen gedacht werden und dass die Bewohnerinnen und Bewohner gewisse Nutzungen teilen, ist im heutigen Immobilienmarkt keineswegs üblich.
Es brauchte wohl Ereignisse wie die globale Finanz- und Schuldenkrise sowie grassierende Wohnungsnot in grossen Städten, um viele Menschen bis tief ins bürgerliche Lager zum Umdenken anzuregen. Hans Widmers verführerische Idee des «bolo’bolo» erhält trotz des nie verschleierten anarchistischen Anstrichs heute viel mehr Aufmerksamkeit als noch vor 35 Jahren.
An der Biennale i2a in Lugano, dem dreitägigen Symposium unter dem Titel «Die Gesellschaft der Zukunft zwischen Urbanität und Natur» besteht die Gelegenheit, Hans Widmer am Samstag 28. April live zu erleben: Er spricht mit Francesco Cara, dem «digitalen» Umweltschützer aus Mailand und London, über nachhaltige Lebensweisen und Utopien, die vielleicht gar nicht so fern sind. Die Biennale i2a widmet sich von Donnerstagabend 26. April bis in den Samstag hinein mit unterschiedlichen Formaten den vielfältigen Aspekten einer zukünftigen räumlichen und sozialen Entwicklung. Eingeladen als RednerInnen sind Isabelle Chassot, Direktorin des Bundesamtes für Kultur, Wakkerpreisträger Giovanni Netzer, der Brüsseler Architekt Peter Swinnen, Claudia Moll, Co-Präsidentin des BSLA, Joris Van Wezemael, designierter Geschäftsführer des SIA – und viele, viele mehr. Das Programm der Biennale i2a kann online aufgerufen werden. Ebenso kann man sich auf der Webseite für eine Teilnahme anmelden.

— Caspar Schärer, co-Kurator der Biennale i2a

Biennale i2a: Die Gesellschaft der Zukunft zwischen Urbanität und Natur
istituto internazionale di architettura (i2a), Villa Sarol, Viale Stefano Franscini 9, 6900 Lugano
vom 26. – 29. April 2018

Weitere Links zu Hans Widmer:
Die andere Stadt, WoZ 02.11.2017
Interview Tageswoche 11.05.2016
Hans Widmer im Focus auf SRF3 11.01.2016
Porträt im Tages-Anzeiger 22.05.2014

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