Mondspaziergänge

Raumfahrt im Allgemeinen und die Reise zum Mond im Speziellen sind wieder ein Thema: die aktuelle Mission der wiederverwendbaren Transport-Raumkapsel Crew Dragon hat dafür gesorgt ebenso wie die Landung des chinesischen Mond-Rovers chang’e 4. In den 1960er und den 1970er Jahren war die Eroberung des Weltraums eines der fruchtbarsten Motive für die Architektur; kaum ein Architekt, kaum eine Gruppe – von Archigram über Hans Hollein bis zu Kazuo Shinohara –, die sich nicht in irgendeiner Form auf die Ereignisse und vor allem technischen Geräte der Raumfahrt bezogen hätten.

Und heute? Scrollt man über einschlägige Webseiten, so gewinnt man den Eindruck, dass sich die Architektur um alles andere als den technischen Fortschritt kümmert. Zugegeben: Die flüchtige Digitalisierung macht es den Architekturschaffenden ja auch nicht leicht. Aber vielleicht ist das auch gar nicht so schlimm. Denn Architektur und Raumfahrttechnologie sind nur schon wegen der alles bedingenden oder gar nicht vorhandenen Schwerkraft sehr verschiedene Welten.

Diese Feststellung schliesst aber ein «Lernen von …» nicht aus. Das beginnt etwa mit der prekären Beobachtungs-Lage von Raumstations-Bewohnern, aus der sich einiges über den richtigen Umgang bei der Bebauung der Erde folgern liesse und geht bis hin zu einer neuen Kunst des Flanierens. Wohl aus Gründen des erneuten Wettlaufs zum Mond, der Wiederlegung von Verschwörungstheorien oder ganz einfach aus Spass, hat die NASA seit längerem eine Webseite aufgeschaltet, auf der die Bewegungs- und Aktivitätsprotokolle der Mond-Missionen in Bezug zu irdischen Relationen gesetzt sind. Das ist ziemlich inspirierend. Man stelle sich vor: In einer Stadt gebe ein Smartphone die Bewegung vor und man sähe die Umgebung neu mit der Achtsamkeit und dem Staunen der ersten Mondbesucher… Vielleicht sind es eben nicht die Startrampen, Mondkapseln und Lunar-Gewächshäuser, die Architekturschaffende heute inspirieren sollten – sondern die gut vorbereitete und alles seismographisch registrierende Art der Fortbewegung in stets unbekanntem Terrain.

— Tibor Joanelly
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