Populäre Architekturkritik

Energisch, mit lauter Stimme und in lässiger, urbaner Mode stellen sich der Blogger Luis Castillo und DJ Pisga Mix in einem Youtube-Video vor. Die Begleitmusik ist Cumbia, eine beliebte Musikrichtung in mexikanischen barrios, den lebhaftesten und kulturintensivsten Gegenden der Städte und Ballungsräume, aus denen der Blogger und DJ stammen. Für manche vielleicht unerwartet, widmen sich die beiden in ihrem Video der Architekturkritik: Sie beurteilen den Park Gabilondo Soler in Ecatepec, einer Autostunde vom historischen Hauptstadtkern entfernt, dessen Neugestaltung im Januar dieses Jahres abgeschlossen wurde.

Sorgt euch um euren Park!

Die Kritik in populärer Form fällt überwiegend positiv aus. Mit grösster Begeisterung wird der neue grosse Fussballplatz kommentiert. Aber auch die Umgebungsgestaltung und der Umgang mit dem Hang gefällt. Das Video zeigt den etwa einen Hektar grossen Park, der durch Gabionenwände, kleine Plätze, Treppen, Rampen und grundsätzlich einfachen Mitteln strukturiert ist. Dazwischen liegen naturbelassene Flächen mit roter Erde, Bäumen, grossen Natursteinen und einem kleinen Fluss. Picknicktische und ein Kinderspielplatz laden die Bewohner ein, «aus dem Alltag auszusteigen», so der Blogger. Dann folgen mahnende Worte: Er appelliert an die Leute, nicht ständig ihre Abfälle liegen zu lassen. Ein Problem, das auf den meisten öffentlichen Plätzen in Mexiko besteht, unter anderem weil es meist keine Abfalleimer gibt, da diese zu oft mit Haushaltsmüll überfüllt werden.

Natur in unmenschlicher Umgebung

Die Begeisterung der Youtuber für den Park mag nicht für jede Person offensichtlich sein. Das Besondere ist seine Lage: Der Park befindet sich mitten in Ecatepec de Morelos, einer Millionenstadt, die an Mexiko-Stadt grenzt. Laut Statistik ist Ecatepec eine der gefährlichsten Städte Mexikos und einer der tödlichsten Orte für Frauen weltweit. Auch die Umgebung wirkt rau und oft nicht menschenfreundlich. Der neu gestaltete, offene Park bildet mit seinem Naturbezug einen willkommenen und wichtigen Kontrast. Grünanlagen oder gar einladende öffentliche Plätze sind eine Seltenheit in den informell gewachsenen Gebieten in Mexiko. Das hat auch der regierende linke Präsident Andrés Manuel López Obrador erkannt: Mit über tausend neuen Infrastrukturen, verteilt über das ganze Land, will er in seiner sechsjährigen Amtszeit genau diesen Missstand beheben. Er bezeichnet diese Bauwerke als «soziale Architektur», zu denen auch der Park Gabilondo Soler gehört.

Sieben Parkanlagen von Área Común

Anfang 2020 wurde das mexikanische Architektur- und Stadtplanungsbüro Área Común vom Ministerium für Landwirtschafts-, Gebiets- und Stadtentwicklung (Sedatu) mit der Neugestaltung von sieben Parks beauftragt. Für Entwurf, Planung und Ausführung der Grünanlagen in Ecatepec und der nahe gelegenen Gemeinde Texcoco standen weniger als ein Jahr und ein minimales Budget zur Verfügung. Die Planungsgrundlagen waren oft ungenau – auch weil die Topographen die Gefahrenzone schnellstmöglich verlassen wollten. Zu Projektbeginn sprach der leitende Architekt Gustavo Rojas mit den Menschen vor Ort, um herauszufinden, was sie sich für ihren öffentlichen Park wünschen. Die Antworten waren ernüchternd: Die Menschen erklärten, sie glaubten weder an die Politik, in deren Auftrag die Projekte geschaffen würden, noch an das Benehmen ihrer Mitmenschen. 

Erkenntnisse aus Abfällen

So blieb Rojas nichts anderes übrig, als die Spuren des bestehenden Parks zu lesen, um zu verstehen, welche Aktivitäten hier stattfanden. Der im Youtube-Video kritisierte Abfall lieferte wichtige Hinweise: Chipstüten und Plastikbecher wiesen auf Treffpunkte hin, und leere Babygläschen und Windeln deuteten auf eine Kinderecke. Um die Sicherheit in den Anlagen so weit wie möglich zu erhöhen, entschied sich der Architekt für offene Gestaltungen, die einen besseren Überblick bieten. Die städtebaulichen Interventionen von Área Común entspringen einer bemerkenswerten Sensibilität und Lesart des Ortes. Sie sind so gut in die Orte integriert und unscheinbar, dass sie im Vergleich zu einigen anderen Sedatu-Projekten von den Fachmedien wenig Aufmerksamkeit erhalten. Umso mehr freute sich Rojas, als er die Wertschätzung der Youtuber entdeckte. Die Freude über den Park ist auch in bislang rund siebzig Kommentaren auf Google Street View zu lesen. Letztlich kommt es auf die Akzeptanz gerade dieser Parkbesucher an, so Rojas.

— Laure Nashed

Im Heft 11-2021 «Social Condenser» bespricht Laure Nashed zwei Sedatu-Projekte in Mexiko, darunter einen anderen Park und Sportplatz in Ecatepec ganz konventionell – ohne Begleitmusik, schwarz auf weiss mit Bildern und Plänen.

Unsere Autorin und Korrespondentin lebt und arbeitet in Mexiko-Stadt und betreibt die Plattform «Learning from Mexico».

Der Fussballplatz als neues Herzstück des Parks Gabilondo Soler in Ecatepec
© Laure Nashed
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Parkanlagen in Ecatepec de Morelos, Área Común, 2021