Mit fremden Federn geschmückt

Wettbewerbsgewinner kopieren erfolgreiche Fassaden aus der Gegend

Da reiben sich die werk-Redaktor:innen die Augen: Der Wettbewerb für das Collège d’Hauterive in der gleichnamigen Neuenburger Gemeinde zeigt dieselbe Fassade wie das just fertiggestellte Schulhaus Sacré-Cœur in Estavayer-le-Lac von Bart Buchhofer. Wörtlich: dieselbe Fassade. Und im Rendering das gleiche Mühlespiel auf dem Asphalt.

Darf man das? Die jungen Architekturschaffenden des Atelier Berchier haben es sich da offenbar in den letzten Minuten vor Print und Abgabe etwas leicht gemacht und eine erfolgreich umgesetzte Fassade kopiert – vielleicht als Platzhalter? Gerechterweise muss erwähnt werden, dass die Kopie nur die Fassade betrifft; typologisch ist der Entwurf völlig anders aufgebaut und kontextuiert.

Eine Frage des Kontexts

Zum Vorbild: Der Wettbewerb für das Schulhaus in Estavayer-le-Lac wurde 2016 von Bart Buchhofer gewonnen, und bei dem Entwurf für die Fassade blieben die Architekturschaffenden sehr nahe an den im Wettbewerb gezeigten Renderings. Die Betonelemente sprechen eine dezidiert tektonische Sprache insbesondere darum, weil das an der Fassade gezeichnete Gitter auf die Beton-Fenstereinfassungen des bestehenden Internatsgebäudes von 1905 Bezug nimmt (Bauherrinnen waren die Schwestern aus dem Kloster Ingenbohl, Architekt der Benediktiner Victor Stürmle aus Einsiedeln). Bart Buchhofers Schule definiert mit einem Hof zum Altbau den Kontext komplett neu.

Im aktuellen Wettbewerbsbeitrag für Hauterive und in dessen ländlich-dörfliche Umgebung wirken die kopierten Fassaden zwar massstabsvermittelnd und irgendwie auch rational wie die Grundrisse – doch sie bleiben beidem fremd. Das lässt sich kritisieren, selbst wenn es sich offensichtlich um eine Notlösung handelt.

Peinliche Klauerei?

Zu kritisieren ist hier aber auch neben der für den Beruf der Architekturschaffenden peinlichen wie fantasielosen Klauerei die Jury. Denn das Vorbild von Bart Buchhofer befindet sich nur etwas mehr als 20 Kilometer Luftlinie auf der anderen Seite des Neuenburgersees und hätte eigentlich den Jurierenden bekannt sein sollen. Dieses Versäumnis schadet dem Wettbewerb als Institution, denn eines der zentralen Argumente für seine Notwendigkeit ist ja gerade, dass er spezifische Lösungen hervorzubringen vermag. Und da hilft es nicht, wenn der Jurybericht von einer «sensiblen Interpretation der Morphologie des Ortes und des Dorfes Hauterive» spricht und die «Inszenierung» des von den Fassaden eingerahmten Platzes mit Blick auf den See als «bemerkenswert» erachtet wird. Dass die Fassaden als «nüchtern und kontrolliert» taxiert werden und ihre «Materialität aus Betonfertigteilen […] den Dialog mit dem baulichen Kontext» suche, deutet darauf hin, dass die Jury den Entwurf ernst nahm und durch die Projektverfasser recht eigentlich hinters Licht geführt wurde. Damit wurde auch die Bauherrschaft getäuscht.

«Hauterive» stellt Sinn und Autorschaft bei Wettbewerben verschärft zur Diskussion. Ähnlich verhielt es sich mit dem Wettbewerb für den Neubau für das Schulhaus Champagne in Biel. Dort übernahmen die gewinnenden Topotek 1 mehr oder weniger deutlich einen nicht realisierten Entwurf von Karamuk Kuo. An anderer Stelle wurde argumentiert, dass Topotek 1 diesen weiterentwickelt hätten und ihre Version um einiges «stringenter» sei. Hier lässt sich immerhin anführen, dass beide Entwürfe ihre Wurzeln im Richardson-Merell-Hauptquartier (Connecticut 1970) von Roche & Dinkeloo haben und dass mindestens die typologische Innovation ein öffentliches Gut ist, ja eigentlich open Source. Und dass an ihr beständig weitergearbeitet werden kann und soll. Dass der Entwurf von Topotek 1 auf den Renderings gleich aussieht, wie derjenige von Karamuk Kuo, wirft wie in Hauterive grundsätzliche Fragen auf zur Autorschaft.

Verantwortung und Wettbewerbskultur

Wie auch immer: der Fall Hauterive zeigt, dass die Verantwortung von Architekturschaffenden als Projektverfasserinnen und Juroren weiter geht als reine Problembewältigung oder -beurteilung. Wenn es bei den Wettbewerben keine Vorprüfung hinsichtlich Typologien und Bildern geben soll, dann gehören bei der Wettbewerbskultur auch Weitsicht und ein Wissen um das dazu, was in einem erweiterten Kontext bereits gebaut, geplant oder gedacht wurde. Und mit diesem Kontext sind nicht die Bilderwelten von Instagram, Facebook und Twitter gemeint.

— Tibor Joanelly

Download Jurybericht Collège à Hauterive

Die Kopie: Rendering aus dem Wettbewerb für das Collège d’Hauterive/NE von Atelier Berchier
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Vorbild Original und Kopie