JAS Nr. 86 – Allen + Crippa

Rahmenbedingungen mitentwerfen

Das Betätigungsfeld der beiden Architekten Timothy Allen und Ronan Crippa (beide 1994) ist breit. In ihrer Wohngemeinde Grabs im St. Galler Rheintal engagieren sie sich für ein nachhaltigeres Bauen und damit für eine hohe Lebensqualität in ihrer Region. In ihrer Vermittlungsarbeit weisen sie auf Prozesse und Entscheide hin, die weit vor dem eigentlichen Bauen die Weichen für baukulturelle Qualität stellen. Auch in den eigenen Projekten spiegeln sich ihre Prinzipien und Interessen wider.

Was ist eure Herkunft?

Kennengelernt haben wir uns in der Primarschule in Grabs, einem Dorf im Kanton St. Gallen, wo wir beide aufgewachsen sind. Wie in vielen Dörfern in der Region hat sich das Wachstum in kurzer Zeit deutlich abgezeichnet. Historisch gewachsene Quartiere werden durch gesichtslose Bauten ersetzt. Wertvolle Grünräume verschwinden zusehends und die Miet- und Bodenpreise zeigen steil nach oben. Ein Dorf oder eine Region wie die unsere, weder pulsierende Stadt noch idyllisches Bergdorf, erhält wenig Aufmerksamkeit im architektonischen Diskurs. Vor diesem Hintergrund sind wir dazu gezwungen, selbst handlungsfähig zu werden und die Initiative zu ergreifen.

Schon während unserer Zeit an der ETH haben wir uns intensiv mit unserer Region beschäftigt und mit unserem Projekt www.einbaureglementfüralle.ch ein alternatives Baureglement für die Gemeinde entworfen. Mit verschiedenen Dorfspaziergängen, Aufklärungsarbeit und einer thematischen Website haben wir Lösungsvorschläge erarbeitet mit dem Ziel, der Klimakrise beim Bauen zu begegnen. Durch Zusammenarbeit und politisches Engagement wollen wir mit architektonischen und raumplanerischen Initiativen unser Umfeld informieren, sensibilisieren und zum Handeln bewegen.

Was ist euch wichtig im Denken und Entwerfen?

Einerseits interessiert und der Mensch in seinem direkten Umfeld. Dieses verstehen wir als Ergebnis eines gesellschaftlichen Aushandlungsprozesses der die Rahmenbedingungen für die Entwicklung und Bebauung eines Orts bestimmt. Wir stellen deshalb ökologische und politische Überlegungen in den Mittelpunkt unserer Praxis und versuchen mit unserer Arbeit ebendiese Rahmenbedingungen zu beeinflussen. Für uns beginnt der Entwurf nicht beim fertigen Raumprogramm, sondern wir möchten auf Entscheidungen Einfluss nehmen, die lange zuvor getroffen werden.

Andererseits interessiert uns das Experimentieren mit Material und Konstruktion. Wir sind der Überzeugung, dass Raum, und Konstruktion in unmittelbarer Wechselwirkung zueinanderstehen und von Beginn an zusammen gedacht werden müssen. Mit dieser Auseinandersetzung wollen wir Atmosphären schaffen, von denen jede eine ganz eigene Geschichte erzählt, wie etwa bei einem aktuellen Projekt in Grabs (www.gässli5.ch). Der Mensch steht im Zentrum des Raums, der sinnhafte Einsatz eines Baustoffs im Zentrum der Konstruktion.

Und wie zeigen sich diese Aspekte konkret in dem von Euch ausgewählten Projekt in Salez?

Nach einem Kellerbrand weitete sich das Feuer aus und zerstörte grosse Teile des Gebäudes. Wir stellten uns die Frage nach dem richtigen Umgang mit der beschädigten Bausubstanz. Es wurde auf einen Totalabbruch verzichtet und ein Rückbau vom Dachgeschoss mit anschliessender Aufstockung als Strategie gewählt. Dadurch konnte ein Grossteil der Bausubstanz weiterverwendet werden, die Bauzeit für die Familie wurde verkürzt und der über Jahrzehnte gewachsene Garten mit schönem Baum- und Pflanzenbestand konnte behalten werden.

Ein neues Holzrahmentragwerk im Obergeschoss liegt auf den Aussenwänden auf und überspannt die ganze Breite des Hauses. Dieses ermöglicht einen neuen Grundriss, welcher unabhängig von den bestehenden lastabtragenden Wänden im Erdgeschoss funktioniert. Die massiven Holzträger werden zum raumdefinierenden Element und bilden ein Raster mit neun Räumen, welche als umlaufende Enfilade durchschreitbar sind und durch grosse Schiebetüren in Bezug zueinander gesetzt werden. Die bestehende Wendeltreppe wird freigestellt und bekommt durch den offenen Grundriss eine neue Bedeutung.

Ein intensiv begrünter Pflanzenring markiert den Übergang zwischen dem Bestand im EG und dem Neubau im OG, fungiert aber auch als Vordach mit konstruktivem Sonnenschutz fürs Erdgeschoss und fördert gleichzeitig die Biodiversität. Ein weiterer Garten befindet sich auf dem Dach, wo eine aufgeständerte PV-Anlage ein flächendeckendes Gründach mit üppiger Begrünung und kühlendem Effekt fürs Haus ermöglicht. 

Haus mit drei Gärten, Salez

Allen + Crippa, Grabs

www.allencrippa.com

Standort: Forsteggstrasse 20, 9465 Salez
Bauherrschaft: Privat
Architektur: Allen + Crippa, Grabs / Zürich
Chronologie: Brand 2020, Planung 2021, Ausführung 2022–23

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