JAS Nr. 23 – DU STUDIO, Zürich

Architektonischer Reichtum statt rigide Kohärenz

In der Schwebe und doch von grosser Intensität: Steffen Hägele (1985) und Tina Küng (1986) legen einen Umbau vor, der es uns angetan hat: mit Spiegelungen von Spiegeln, mit Brechungen von Brüchen. Aus der postmodernen Architektur des Bestandes haben sie das eigentlich Postmoderne hervorgezaubert.

— Tibor Joanelly, 23.02.2018

Was ist eure Herkunft?

Unser Werdegang hat eher suchenden Charakter und setzt sich aus unterschiedlichen, teils widersprüchlichen Stationen zusammen. Kennengelernt haben wir uns am Ende des Studiums an der ETH Zürich. Initialmomente für unsere Zusammenarbeit waren wiederkehrende, gemeinsame Arbeits- und Forschungsaufenthalte in Metropolen wie São Paulo, Chicago, Genua und Tokio. DU STUDIO geht aus dem Auftrag für die Doppelhaushälfte Erlenmatte hervor.   
Wir vermeiden es, einer einzigen architektonischen Strömung zu folgen und setzen uns bewusst mit divergierenden, für uns relevanten Akteuren auseinander – im Studium, als Angestellte, als Lehrassistenten oder freie Architekturkritiker sowie in der täglichen Zusammenarbeit. Wir sind überzeugt, dass wir selbst für unsere Positionsbestimmung, unsere Haltung verantwortlich sind. Gleichwohl gibt es Fixsterne, an denen wir uns beständig orientieren.

Was ist Euch wichtig im Denken und Entwerfen?

Entwerfen hat für uns massgeblich mit Imagination zu tun, die aus der Summe an Faktoren – Vorschriften, Kundenwünsche, Budget, architektonisches Repertoire, allgemeine Befindlichkeit – stets etwas Neues, Anderes, Spezifisches entstehen lässt. Somit lässt sich Enwerfen nie abschliessend systematisieren und geschieht meist über Umwege. Auch deswegen erleben wir Entwerfen als etwas faszinierend Optimistisches und zugleich Anmassendes, da uns die Zukunft natürlich unbekannt bleibt. Den Begriff «Projekt» verstehen wir dabei wörtlich als auf die Zukunft bezogen – und damit frei von Nostalgie, selbst wenn wir uns beim Entwerfen mit der Geschichte beschäftigen. Wichtig erscheint uns eine uneingeschränkte, kritische Neugier bezüglich dem eigenen architektonischen Tun und dem nächsten entwerferischen Schritt.
In unseren Projekten versuchen wir, kräftige architektonischen Ideen zu etablieren, die uns beim Lösen externer Anforderungen zur Seite stehen und – so hoffen wir – die Projekte spürbar durchdringen. Wir gehen dabei nicht reduktionistisch vor, sondern ziehen eine Vielzahl an Fäden durch das jeweilige Projekt, die sich vervielfältigen, sich überlagern und verknoten – aber auch auflösen und verlieren. Nicht less is more ist die Devise – eher more is more. Genauer: an den für uns neuralgischen Stellen so viel wie möglich. Das Ziel ist architektonischer Reichtum anstelle rigider Kohärenz. Hierbei erleben wir, dass jedes Element ein Eigenleben entwickeln kann und im Umkehrschluss andere Elemente beeinflusst. Dies gilt über alle Massstäbe: Etwas Winziges kann beispielsweise auf das ganze Projekt ausstrahlen. Es resultiert daraus eine grosse Skepsis vor Floskeln wie «Fassade resultiert aus Struktur» etc., weil wir potenzielle Querbeeinflussungen nicht eliminieren wollen. 
Architektur konstituiert sich durch Grenzziehungen und die Beschaffenheit dieser Grenzen. Entsprechend wichtig erscheinen uns Oberflächen, Schwellen sowie die Dramaturgie und Wirkung räumlicher Sequenzen, die von den Menschen mit Leben erfüllt werden. Im Sinne einer offenen Gesellschaft suchen wir die Spannung zwischen Räumen der Interaktion und der Intimität. Räumlich faszinieren uns vage Konstellationen: Offene Figuren im Kontrast zu stabilen, seriellen Momenten; der ewige Wettstreit zwischen Struktur und Form, zwischen Ausdruck und Plan; von Kultur und Wildnis, drinnen und draussen. Und alles dazwischen.

Und wie zeigen sich diese Aspekte konkret in einem von Euch ausgewählten gebauten Projekt?

Das Projekt stellt ein Versuch dar, die Postmoderne «umzubauen». Das bestehende Doppelhaus wurde 1992 als spätes, formalistisches Manifest erbaut, inmitten eines typischen Neubaugebiets mit zur Aussicht orientierten Häusern und anonymen Aussenräumen. Dieser Kontrast – Postmoderner Bestand und mediokres Siedlungsallerlei – bedingten eine spezifische Entwurfshaltung: Kontextualität bedeutete vor allem die Ausseinandersetzung mit dem Ausdruck, der Farbigkeit und Materialität vom Bestand. Direkte architektonische Referenzen waren nicht anwendbar – Umbauten der Postmoderne sind uns keine bekannt. Vielmehr beschäftigte uns ein loses, von der Bauaufgabe unabhängiges Feld an kulturellen Bezügen in Kombination mit allgemeinen Fragen zum Wohnen, um ein Vokabular für die Umgestaltung vom Garten, der Wohnumgebung und den privaten Räumen zu entwickeln. Die programmatische Verdichtung im Inneren bedingt eine atektonische Architektur der Auflösung: Flächen, Linien und Volumen verdichten sich zu Raumgrenzen; oder stehen in einem vagen Balanceverhältnis nebeneinander.

Umbau Doppelhaushälfte Erlenmatte, Emmenbrücke

DU STUDIO, Zürich

www.dustudio.ch

Umbau Doppelhaushälfte Erlenmatte

Erlenmatte, Emmenbrücke; Bauherrschaft: Privat; Architektur und Bauleitung: DU STUDIO; Steffen Hägele, Tina Küng; Chronologie: Planungsbeginn Frühling 2016, Ausführung März – Juni 2017; Fotos: DU STUDIO

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