Anfang Februar kam der Zürcher Stadtrat nach langen Studien zum Schluss, das bekannte Globusprovisorium abzubrechen und durch: NICHTS zu ersetzen – mit dem Beifall der massgeblichen Parteien im Stadtparlament. Wie im Märchen von des Kaisers neuen Kleidern schlagen die städtischen Politiker nun ein allzu durchsichtiges Gewand für das Papierwerd vor und meinen, einen prachtvollen Entwurf zu sehen. Wir halten diesen Stadtratsentscheid für falsch und die Planungsmillionen für eine Fehlinvestition.
Das Parkprojekt ignoriert die stadträumlichen Gegebenheiten und die Stadtgeschichte: Das Papierwerd, einst eine Insel im Fluss, ist seit Jahrhunderten überbaut. Im 16. Jahrhundert stand hier die städtische Papiermühle, sie produzierte die Hardware für Zwinglis Reformation: Papier für religiöse und politische Druckschriften. Bis in die 1940er Jahre flankierte eine ganze Reihe von Gewerbebauten die Insel. Mit dem Bau des Lettenwehrs, das den Spiegel des Zürichsees kontrolliert, wurden diese romantischen Bauten abgebrochen, denn sie wären im Stau buchstäblich ertrunken.
Den Verlust der Limmatmühlen bedauerten viele Zeitgenossen – während andere den ideologischen Slogan von der «freien Limmat» prägten. Es wäre verkehrt, das Zerstörungswerk heute fortzusetzen. Denn nicht eine «freie Limmat» ist typisch für das historische Zürich, vielmehr sind es die bebauten Inseln wie die Wasserkirche und das Rathaus – und eben noch immer das Papierwerd. Es darf schon aus Respekt für die Stadtgeschichte nicht freigeräumt werden.
Der Limmatraum ist im Bereich der Bahnhofbrücke auffallend breit – eine glatte, leere Wasserfläche vor den relativ kleinen und unscheinbaren Altstadthäusern rechts und den repräsentativen Amtshäusern links der Limmat. Einer Ausweitung dieses Raums wären aber auch diese Fassaden nicht gewachsen. Und auch der Bahnhofplatz würde an räumlichem Halt verlieren, den ihm heute das Globusprovisorium bietet: als einziges bauliches Vis-à-vis der Bahnhofhalle. Der Platz würde noch mehr als heute ausfransen.
In unseren Augen besteht an dieser Stelle kein Bedarf für einen weiteren öffentlichen Freiraum. Ein Park auf dem Papierwerd bliebe isoliert und dem Wind ausgesetzt – ein ungeschützter «Restraum». Die Perspektiven des Tiefbauamts versprechen dort kräftige Bäume – doch wo sollten diese auf dem Betondach über dem Grossverteiler wurzeln? Die stimmungsvollen Bilder geben das Geheimnis nicht preis. Das ist unehrlich.
Das von Karl Egender entworfene Globusprovisorium ist für viele Zürcherinnen und Zürcher ein Ärgernis. Architekten sehen dagegen die Qualität dieses Bauwerks und plädieren mit gutem Grund für seine Erhaltung – auch die Zürcher Ortsgruppe des Bundes Schweizer Architekten BSA. Wir sind der Meinung, an diesem prominenten Ort müsste anstelle des Provisoriums ein Neubau möglich sein, der durchaus höher und prominenter sein darf als der bestehende – als selbstbewusste Antwort auf die angrenzenden historischen Geschäfts- und Amtshäuser. Die früheren Wettbewerbe für dieses Areal haben aufgezeigt, dass hier städtebaulich vieles möglich ist.
Was freilich bis heute fehlt, ist eine «zwingende» Idee für die Nutzung eines solchen Gebäudes. Aber: muss es denn überhaupt eine prestigereiche öffentliche Nutzung sein? Neben dem Grossverteiler (im Untergeschoss!) könnte man sich auch ein Tourismusbüro vorstellen oder ein öffentliches Forum, wo aktuelle Themen rund um Stadtentwicklung diskutiert würden. Auch für eine private Kunstsammlung wäre dies ein Traumstandort. Wenn die Stadt für sich selbst keine Bedürfnisse besitzt, könnte sie das Areal immerhin einer privaten Trägerschaft im Baurecht abgeben – statt den Landwert einfach abzuschreiben? Hauptsache, diese realisiert eine lebhafte Erdgeschossnutzung – und ein hochstehendes, dem Standort würdiges Bauwerk.
Dieser Gastkommentar erschien in der NZZ Neue Zürcher Zeitung vom 20. März 2018