Tabula-Rasa-Planung von Roche verpasst die Chance einer nachhaltigen Konzeption

Das Projekt eines dritten Roche-Hochhauses – die ersten beiden wurden von Behörden und Öffentlichkeit rasch akzeptiert – auf dem zur Zeit noch hoch verdichteten Basler Südareal erhitzt die Gemüter, nicht nur in der Fachwelt. Es regt sich Widerstand gegen den Abbruch historischer Roche-Bauten am Rheinufer: Eine Petition «Refit-Reuse-Recycle» hat mittlerweile 1050 Unterschriften, ein Aktionskomitee «Rette die Roche Bauten» versucht Öffentlichkeit herzustellen.

Die Pläne für den vergleichsweise uninspirierten dritten, 220 Meter hohen Turm nach Entwurf der Hausarchitekten Herzog & de Meuron sind brisant, weil sie den Abbruch bauhistorisch wertvoller Roche-Bauten voraussetzen. Über das Verfahren zur Unterschutzstellung der Architektur-Ikonen von Otto Rudolf Salvisberg und Roland Rohn, Chefarchitekten der Firma Roche zwischen 1930 und 1970, wird demnächst die Basler Regierung entscheiden.

Der Pharmakonzern bekräftigte Anfang November sein Konzept einer völligen Neuordnung des Geländes mit einem dritten Hochhaus am Rhein. Dabei würden in einer beispiellosen Tabula Rasa-Aktion, die das ETH Studio Basel schon 2005 entwickelt hatte, alle Gebäude bis auf das noble Verwaltungs- und Direktionsgebäude von Salvisberg (Bau 21, 1935/36) fallen.

Anstelle der bislang locker in dem nun doch nicht öffentlichen Park verstreuten drei Solitäre soll nun ein einziges 220 m hohes Turmhaus entstehen, das die beiden Roche-Türme an der Grenzacher Strasse überragen würde: Für die vergleichsweise kleine Grossstadt Basel wäre dieses «Rochehattan» nicht nur eine überholte Machtgeste, sondern auch ökologisch-baukulturell das falsche Signal. Genauso gravierend jedoch ist der Verlust der qualitätvollen, als national bedeutsam gelisteten Baudenkmäler. Sie verkörpern nicht nur ein Stück der Erfolgsgeschichte des Pharmakonzerns, sondern auch einen hohen architektur- und kulturgeschichtlichen Zeugniswert. So folgte das jetzt zur Disposition gestellte Verwaltungshochhaus (Bau 52, 1957–60) von Rohn als eines der ersten Schweizer Hochhäuser mit seiner Glas-Vorhangfassade dem Vorbild des Curtain Walls des New Yorker Lever House (SOM, 1950–52) und reihte sich in das Konzert von Konzern-Landmarks des International Style ein.

Noch bedeutender ist der Pharmabau (Bau 27, 1936/37) von Salvisberg. Mit seiner eleganten Beton-Pilzstützen-Decke nach dem System des legendären Schweizer Bauingenieurs Robert Maillart wurde eine unterzugslose, minimierte Deckenkonstruktion möglich. Das Entkoppeln von Stützen und Fassade ermöglichten eine optimale Belichtung der Räume bei flexiblem Grundriss. Dank seiner konsequent funktionalistischen Gestaltung erlangte Bau 27 den Status einer Ikone der Industriearchitektur des Neuen Bauens. Als eines der am häufigsten publizierten Gebäude Salvisbergs prägte es entscheidend das Bild der Schweizer Vorkriegs-Moderne und wurde international auf breiter Ebene bis hin nach Japan in den fünfziger Jahren rezipiert. Salvisberg optimierte die vorbildlichen Konstruktionen der Van Nelle Fabrik in Rotterdam (1926–31) und der Boots Factory in Nottingham (1931-33) und ging weit über das Stütze-Last System mit starken Unterzügen des Bauhausgebäudes oder der Geschäftsbauten Erich Mendelsohns hinaus. Die Erweiterungen in Form «eines lautlosen Weiterbauens» von Roland Rohn (1951/52 u. 1962/63) haben zwar die ursprüngliche Aussenwirkung verändert, aber auch neue Elemente, so das elliptische Treppenhaus und die lichte Speditionshalle, hinzugefügt. Dieser Riegel zum Solitude-Park ist als qualitätsvolles, problemlos weiter nutzbares Gesamtensemble zu erhalten.

Wenn jetzt seitens der Auftraggeber und Architekten auf den maroden Zustand der Gebäude abgehoben wird, um Argumente für den Abriss zu untermauern, kann dem entgegengehalten werden, dass die Bauten bislang in permanenter Nutzung und Pflege waren. Eine Generalsanierung nach 60 oder gar 80 Jahren ist gängige Praxis; einer Ertüchtigung der Bauten steht prinzipiell nichts im Wege. Sorgfältige Sanierungen, wie die des Bauhausgebäudes in Dessau und der Van Nelle Fabrik, beide UNESCO-Weltkulturerbe, zeigen eindrücklich, wie solche Gebäude um- und weiternutzbar sind. Es gibt mittlerweile ein umfangreiches Know-how zur substanzerhaltenden Renovation moderner Bauten.

Curtain Wall-Fassaden wie am Bau 52 wurden jüngst mit Erfolg saniert und energetisch mit innenliegenden Glasfronten ertüchtigt. Für seine vorbildhafte Restaurierung bekam das Thyssenhochhaus in Düsseldorf 2015 den begehrten MIPIM Award. Die berühmte Bauhaus Glas-Eisenfassade – selbst eine Rekonstruktion von 1976 –  wurde nach einem ausgeklügelten System durch Brenne Architekten 2011/12 vorbildlich energetisch saniert.

Gerade die Schweiz steht für ein hohes Niveau von Baukultur, das sich auch im Umgang mit historischen Bauten niederschlägt. Auch zwei Salvisberg-Bauten wurden jüngst mustergültig umgebaut und substanzwahrend einer neuen Nutzung zugeführt. Roche hat jetzt die Chance, sich mit einem kreativen Gesamtkonzept für das Südareal an die Spitze einer nachhaltigen und umweltbewussten Baukultur zu setzen. Die Ikonen der Industriebau-Moderne müssen in einem Ensemble aus alt und neu erhalten bleiben, wenn das Areal als durchgrünter Campus zur Rheinfront geöffnet wird. Ein Wettbewerb kann hier Klarheit schaffen. Um die Bedeutung der Gebäude von Salvisberg und Rohn zu unterstreichen, sollten Roche und die Stadt Basel ein Zeichen setzen und die Bauten rasch unter Schutz stellen.

— Prof. Dr. Bernd Nicolai, Universität Bern

Bernd Nicolai ist Professor für Architekturgeschichte und Denkmalpflege an der Universität Bern und leitet das SNF-Forschungsprojekt «Otto Rudolf Salvisberg – Architekt der Moderne». Er ist der Initiant der Petition «Rettet die Roche Bauten in Basel!»

Ein teilweise identischer Beitrag von Bernd Nicolai erschien in der NZZ vom 17.11.2020

© Bernd Nicolai
Anzeige

Verwaltungshochhaus und Pharmagebäude F. Hoffmann-La Roche