Grosshof statt Landizeilen

Buchegg von Duplex Architekten

Roland Züger

Der Verkehrsknoten Bucheggplatz erhält durch die Siedlung Buchegg von Duplex Architekten ein städtisches Gesicht.

Ich stehe auf der «Spinne». So nennen die Kinder hier die vierarmige Überführung über das Verkehrsrondell am Bucheggplatz, das über den Verkehr hinweg die Zürcher Stadtquartiere Wipkingen und Unterstrass miteinander verbindet. Was manchen Kritikern – wie beispielsweise meinem Redaktionskollegen Tibor Joanelly – ein Dorn, oder bildhaft gesprochen eine Nadel im Auge ist, wird von hier oben am besten sichtbar. Knorrig krumm gewachsene Föhren stehen vor der neuen Gebäudefront, geben ein träfes Bild ab für die Baugenossenschaft Waidberg. Genau genommen sind aber die Föhren nicht Ableger vom nahen Waidberg, sondern eine Reminiszenz an die ursprüngliche Bepflanzung des Grosskreisels anlässlich des Baus der Zürcher Westtangente Ende der 1960er Jahre und der Spinne von Werner Stücheli mit dem Ingenieur Max Walt (Walt Galmarini). «Es war damals eine Mode, aber noch heute prägen die Föhren den Bucheggplatz», erklärt die Landschaftsarchitektin Robin Winogrond, die die Nadelbäume 2011 auf die Wettbewerbspläne gezeichnet hat.

Der Dreh mit der Platzfassade

Mehr als diese Föhren sticht auf dem Bucheggplatz die neue Platzfront ins Auge: Hier ist aus einer Siedlung am windigen Verkehrsknoten tatsächlich Stadt geworden. Die Baugenossenschaft Waidberg hat vier Zeilen von Willy Roth von 1943 (vgl. Wohnen 1–1943) durch drei Gebäudewinkel ersetzt. Das Abrücken der neuen Front vom Trottoir schenkt dem Bucheggplatz nun ein Gesicht. Nimmt man die Erdgeschosse in Augenschein, verleihen Gewerberäume im Sockel der Siedlung jetzt einen städtischen Auftritt: An der Platzfront (wo man die Verwaltung vermuten würde) residiert nun ein Elektriker, an der Rötelstrasse reihen sich eine Reparaturwerkstatt, eine Fahrschule und eine Zahnarztpraxis aneinander.

Was zum Platz hin passt, erweist sich bei einer Annäherung vom Bestandsquartier im Süden her als schroffer Massstabssprung, der nicht zuletzt der Mehrausnützung durch die Arealüberbauung geschuldet ist. Die Planung hatte ursprünglich sogar noch ein zusätzliches Geschoss vorgesehen. Der Projektleiter Konrad Mangold trauert heute der nicht realisierten Etage auf dem Flügel zum Bucheggplatz nicht mehr nach. Sie musste mit der neuen Bau- und Zonenordnung eingespart werden. Denn im Hof stehend, türmt sich die Masse an Wohnraum über sechs, zur Westseite hin sieben Geschosse hoch auf. Die Geländestufe ist geschickt für hofseitig belichtete Waschräume genutzt, die sich fast zu einer Art Arkade auffädeln.

Bauliche Masse trifft Anforderungsdichte

Die verkehrsumtoste Situation an den drei Strassenseiten ist wohl das auffälligste Merkmal der neuen Siedlung. Sie hat dem Entwurf auch seine einprägsame Form verliehen. Wie schützende Hände falten sich drei geknickte Zeilen zu einem grossen Wohnhof, wie man ihn in Zürich nur in frühen Genossenschaftssiedlungen antrifft – etwa dem «Roten Block» am Röntgenplatz (1924, Peter Giumini), dann erst in den 1990er Jahren wieder, wie beim Brahmshof (1991, Kuhn Fischer & Partner). All diesen Wohnhöfen gemeinsam ist die Idee des kollektiven Freiraums als Herzstück.

Trotz der Dichte und der Bauhöhe von sechs Geschossen über dem Sockel ist im Hof der Siedlung Buchegg Grosszügigkeit spürbar. Nach dem Wettbewerb bestanden grosse Bedenken, ob die Abstände zwischen den Wohnungen ausreichen. Doch heute sieht man, dass der Hof räumlich überzeugt, er ist wohlproportioniert. Der Test auf seine Gebrauchstauglichkeit steht ihm allerdings noch bevor, denn im Hof trifft bauliche Masse auf Anforderungsdichte. Darum haben ihn die Landschaftsarchitekten in Nutzungsschichten gegliedert: Hartplatz, Liegewiese, Ballspielwiese, Spielplatz unter Bäumen. Auf den Freiraum sind zudem viele Augenpaare gerichtet – denn der Hofraum ist auch eine Art Theater: Ob das Stück «Genossenschaftswohnen» hier erfolgreich aufgeführt wird, muss sich noch weisen.

Um trotz Dichte Privatheit zu gewähren, sind die Balkone sägezahnartig angeordnet. Die Blicke schweifen an den Nachbarn vorbei in Richtung Süden. Luft verschafft die bereichsweise durch die versetzte Anordnung verdoppelte Raumhöhe der Balkone.

Der Lärmgrundriss zur Strasse

Die Grosszügigkeit setzt sich in den Häusern fort. Die Anordnung der meist zweispännig organisierten Hochparterre-Wohnungen lässt die Eingangshallen luftig wirken. Die Treppenspiralen mit drei Läufen sind zu Skulpturen geformt und liegen am Tageslicht. Das hat seinen Grund darin, dass an der lärmigen Strassenfassade nicht gewohnt werden darf. Deshalb profitieren auch sämtliche Küchen an der Strassenfassade von doppelter Raumhöhe: Es gilt, lärmbelasteten Raum zu konsumieren. Die Strategie ist mit der nahen städtischen Siedlung Kronenwiese von Armon Semadeni (wbw 12–2017) vergleichbar, die Wolfgang Rossbauer in seinem Leserbrief als «Lärm-frisst-Raum-an-Strasse-bei dünnem-Haus-Typologie» zu Recht kritisiert hat. Denn bei aller Grosszügigkeit hilft auch hier der hohe Schnitt nicht wirklich, um Licht in die Tiefe der Wohnung zu lenken.

Die Mischbauweise: Holz und Beton

Der Raumluxus der Küchen spiegelt sich auch an der aufwändigen Fassade, doch hier zum Gewinn an stadträumlicher Qualität. Alle Fenster sind in ein Netz unterschiedlicher Putzflächen verwoben. Das Relief gewinnt in Bodennähe an Tiefe, bevor es auf einem Band aus gelb eingefärbtem und sandgestrahltem Sichtbeton aufsetzt. Von aussen nicht sichtbar: Vorfabrizierte Holzrahmenelemente ermöglichen erst diese ornamentale Tektonik. So liess sich dem Minergie-P-Korsett Spielraum abgewinnen, von dem der Stadtraum nun profitiert. Gelungen ist das wohl auch, weil das Holz unter dem Putz verborgen bleibt. Die Summe von Fassadenrelief, unterschiedlichen Putzmustern und eines auf- und abspringenden Sockelgesimses ist manch einem zuviel, so auch meinem Kollegen Joanelly. Zumal die vielgestaltigen Aufbauten mit hellem Alublech und schwarzer Gummimatte der feingliedrigen Fassade Wirkung rauben. Das Betrachterauge – nicht nur vom Waidberg hinunter – sehnt sich eine ruhige Dachkante herbei.

Unumstritten ist jedoch eines: Die gross gewachsenen Baumassen von heute brauchen schlicht ein Mehr an Gestaltung, als es die kommoden Kompaktfassaden heute vormachen. Denn der neue Zürcher Massstab muss gebändigt werden.

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