JAS Nr. 46 – Atelier Summermatter Ritz, Brig

Die Nähe zu den Dingen

In einer Bar in Biel wird dem Werk-Redaktor der Name «Atelier Summermatter Ritz» zugeraunt. Und er notiert sich in sein Notizbuch: «Mischen den spärlichen Diskurs im Oberwallis auf; Organisieren öffentliche Debatten in ihrem Atelier; Bürositz im Dachaufbau von Heidi und Peter Wenger, wo sie selber einst ihr Atelier führten.» Drei gute Gründe ins Wallis zu reisen: der Reisebericht ist im Heft «Netzwerke der Jungen» nachzulesen. Zur spärlichen Information über ihre darin vorgestellte Dorfscheune in Eischoll reichen wir an dieser Stelle ausführlich Bilder und Pläne nach. Unseren Fragen stellten sich Thomas Summermatter und David Ritz.

— Roland Züger, 09.04.2020

Was ist Eure Herkunft? Was inspiriert Euch?

Beide stammen wir aus dem Oberwallis, Thomas aus Visp, der Lonzastadt, genauer dem elterlichen Dorf Staldenried, David aus Grengiols, einem kleinen landwirtschaftlich geprägten Dorf an der Grenze zum Goms. In familiären Strukturen aufgewachsen, angeseilt, ausgerissen und nach abgeschlossenem Architekturstudium und einigen Jahren in der «Üsserschwiiz» ins Wallis zurückgekehrt.

Bei gemeinsamer Projektarbeit an der ETH Zürich tauchte der Gedanke auf, künftig ein eigenes Architekturbüro zu führen. 2015 entstand daraus das Atelier Summermatter Ritz. Eingenistet im ehemaligen Atelier von Heidi und Peter Wenger in Brig wachsen, gedeihen und entfalten wir uns.

Die Herkunft ist uns wichtige Quelle der Inspiration. Der betrampelte Pfad und die Rückkehr brachte einen veränderten Blick auf das Gewohnte und Bekannte mit sich. Mit grosser Neugier entdecken wir unsere Kultur neu, deuten und interpretieren ihre Strukturen, hinterfragen ihre Gültigkeit für das heutige Leben und entwickeln daraus mögliche Räume und Formen für ein gutes Leben. Dabei sind wir fasziniert von unseren Entdeckungen: der Einfachheit vergangener Lebensweise, der Nähe zu den Dingen, den Bezügen zum Material, zur Landschaft, die Selbstverständlichkeit, die bäuerliche Direktheit oder das Handwerk. Wir bedauern die schleichende Veränderung durch ihr Verschwinden.

Was ist Euch wichtig im Denken und Entwerfen?

Es ist uns wichtig, viele Fragen zu stellen. Und wo Antworten bereits gegeben scheinen, diese zu hinterfragen. Sie richten sich nicht nur an die Bauherrschaft, die Ortskundigen und Spezialisten, sondern vor allem an uns selbst. Damit prüfen wir die Stabilität unserer gedanklichen Konstrukte und später deren Übersetzung in das Bauwerk. Oft suchen wir sehr lange nach Antworten. Jeder entwickelt seine eigenen Methoden des Aufspürens. Das Arbeiten mit grossen Modellen in unterschiedlichen Massstäben hat sich aber mittlerweile sehr bewährt. Der Entwurf ist für uns ein ständiges Hin und Her zwischen Denken und Machen. Wir begeben uns immer wieder an den Ort des Eingriffs und legen dort auch selber Hand an. Die Nähe zum Ort und die Arbeit am konkreten Objekt lässt seinen Charakter und seine spezifischen Eigenheiten aufscheinen.

Die Diskussion ist für uns entscheidend. Hier wird der Entwurf auseinandergenommen, bis sich die Idee und die Richtung der Weiterbearbeitung herauskristallisieren. Wir streben einfache Konzepte an, die eine klare Haltung einnehmen und möglichst selbstverständlich sind. Die Projekte sind ein Gemeinschaftswerk des Ateliers.

Und wie zeigen sich diese Aspekte konkret im Bau der Dorfscheune Eischoll?

Bei der «Hofjischiir», wie wir die Dorfscheune nennen, handelt es sich um einen Auftrag, der aus einem Wettbewerb hervorgegangen ist. Die Gemeinde Eischoll beabsichtigte, die Hofjischiir am Dorfplatz umzubauen, um für die Bevölkerung neuen Raum zu schaffen. Das Wettbewerbsprogramm war offen formuliert, was wir sehr mögen und unserer Arbeitsweise entgegenkam. Es bot sich die Gelegenheit, den Umbau von Ställen im Dorfkern im Grundsatz zu diskutieren: Was muss eine solches Gebäude leisten? Welche Bedeutung kann es heute noch für die Bevölkerung einnehmen? Wie viel neuen Sinn erträgt ein einfaches Bauwerk, das für landwirtschaftliche Zwecke gedacht war, ohne manieriert zu wirken?

Unser Ansatz war, dass die künftige Nutzung so definiert werden muss, dass der Bestand respektiert wird und aus der Operation gestärkt hervorgeht. Deshalb haben wir die Scheune weder gedämmt, noch winddicht abgeschlossen. Die massive Holzkonstruktion bleibt sowohl innen als auch aussen sichtbar bestehen und zeugt von vergangenen Tagen, ihrer landwirtschaftlichen Prägung und alter Handwerkskunst. Heute fehlt vielerorts die Sensibilität und die Wertschätzung für alte Bautraditionen und ihre baulichen Zeugen. Hier sehen wir einen wichtigen Teil unserer Arbeit. Wir wollen das Handwerk zelebrieren und im Umgang mit bestehender Substanz und Struktur achtungsvoll sein.

In diesem Sinne wollten wir auch in Eischoll am Erbe unserer Vorfahren weiterstricken und mit gezielten Eingriffen neue Räume schaffen. Für die Hofjischiir haben wir ein Stabwerk entwickelt, das den alten Blockbau stützt und zusammenbindet. Stäbe werden in den Strick eingefädelt. Eine Mitte und ein Drumherum, ein Dazwischen, ein Innen und ein Aussen entstehen, schaffen neuen Raum und neue Möglichkeiten. Eine textile Haut bekleidet den Raum, passt sich dem Besucher und dem Gebrauch an, reguliert Licht, Temperatur und Stimmung.

Wir haben einen Ereignisraum geschaffen, der mit seiner Lage direkt am Dorfplatz der Bevölkerung einen Raum bietet, der vielseitig nutzbar ist. Die grosszügige Grundfläche und die neu geschaffene Möglichkeit der Unterteilung in bis zu vier Kammern bilden das räumliche Grundgerüst. Altes und Junges wird verknotet, zurückhaltend und dennoch selbstbewusst.

Dorfscheune, Eischoll

Atelier Summermatter Ritz, Brig

www.Summermatterritz.ch
Instagram: ateliersummermatterritz
Dorfscheune, Eischoll
Adresse; Bauherrschaft: Gemeinde Eischoll (VS); Architektur: Atelier Summermatter Ritz, Brig; Chronologie: Wettbewerb August 2018, Bezug Juli 2019; Fotograf: Pascal Schnydrig & Medea Karlen

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