La Qualité du Quotidien, eine Zuschrift

Kioske, Parkbänke und Mülleimer gehören zur Grundausstattung öffentlicher Räume. Gemessen an ihrer Grösse haben sie als städtische Infrastruktur eine ungemein wichtige Funktion. Der slowenische Architekt Saša J. Mächtig hat für den von ihm entwickelten Kiosk K67 den Begriff «Mikro-Architektur» geprägt. Ziel Mächtigs war es, ein System aus industriell hergestellten Objekten zu realisieren, mit dem auf gesellschaftliche Veränderungen in der Nutzung des Strassenraums reagiert werden kann. Katalysator seiner Arbeitsweise waren gesellschaftliche und institutionelle Veränderungen im Jugoslawien der 1960er Jahre: Unter Josip Broz Tito sollte aus kultureller, wirtschaftlicher und religiöser Heterogenität ein homogener sozialistischen Staat mit kapitalistischen Elementen entstehen.

Grundprinzip des K67 ist ein Raummodul, das durch die Durchdringung von zwei orthogonalen Volumen entsteht. Vier Öffnungen können je nach vorgesehener Nutzung geschlossen, als Fenster oder als Tresen und Überdachung ausgebildet werden. Mächtig hat den K67 in zwei Generationen sukzessive weiterentwickelt. Die Fertigung in faserverstärktem Kunststoff fand in einer Werkstatt im Slowenischen Ljutomer statt, die 1972 abbrannte. Zu diesem Zeitpunkt war bereits ein fabrikneues, «olivettirotes» Exemplar auf Initiative des argentinischen Designers Emilio Ambasz in die Sammlung des MoMA in New York aufgenommen worden. 

Einen Zwillingskiosk aus der Frühzeit, der in Piran an der slowenischen Adriaküste als Info- und Ticketcounter in Gebrauch war, konnte Milan Dinevski vor Aufgabe und Zerfall retten. Der Architekt, Mächtig-Experte, Kurator am Museum for Architecture and Design (MOA) in Ljubliana und Mitbegründer des «City Creative Network» in Mailand überzeugte den städtischen Eigentümer und die Bevölkerung davon, dass das in die Jahre gekommene Exemplar an einem anderen Ort mit Optionen für zukunftsoffene Aneignung und Rezeption besser aufgehoben wäre. Nach seiner Restaurierung durch das Team von WORKSHOP A1 in Ljubljana wurde der Kiosk jüngst im Rahmen der Ausstellung Kiosk K67. Metamorphoses of a System des Instituts für Geschichte und Theorie der Architektur (gta) an der ETH Zürich gezeigt. Restaurierung, Transfer und die Ausstellung im Frühjahr dieses Jahres sind das Resultat projektbezogener Zusammenarbeit zwischen Milan Dinevski und dem Lehrstuhl von Philip Ursprung. Für die kurze Dauer der Ausstellung ermöglichten die Kuratoren Maja Vardjan, Fredi Fischli und Niels Olsen eine Art Re-enactment des Kiosks als «micro-location» im Mächtig’schen Verständnis. Der K67 ist ein funktionaler Tausendsassa und kann auch als Display für Plakate, Leuchtkörper oder als Sitzmöbel dienen – oder sogar als Träger für Stadtgrün.

Obwohl die Ausstellung vorbei ist, bleibt der Kiosk dem Hönggerberg erhalten. Fortan haben die Studierenden der Architektur an der ETH die Möglichkeit, den K67 für eigene Projekte zu reaktivieren. Es wird sich zeigen, welche Facetten der RADICAL ARCHITECTURE der 1960er-Jahre sie zur Wiedervorlage bringen werden. 

Im MoMA war die gesellschaftstransformierende Kraft der Architektur in Jugoslawien zwischen 1948 und 1980 indes Thema einer mehrjährigen Kooperation mit slowenischen Forschern und Architekten. Sie schloss im Januar 2019 mit der Ausstellung Toward a Concrete Utopia. Die Begleitpublikation setzt sich aus thematischen Essays, Fallstudien und einem Foto-Portfolio zum Kiosk mit eindrücklichen Aufnahmen von Valentin Jeck zusammen (wbw 11–2018). Für Mächtig selbst ist der K67, den er aufgrund einer Fülle von Anfragen – wie beispielsweise für Reporterkabinen bei grossen Fussballspielen – weiterentwickelte, keinesfalls Geschichte. Mit dem Materialwissen von heute arbeitet er an dessen Relaunch in Recyclingmaterialien.

«The kiosk, which is the most complex element of street equipment in terms of volume, represents the core and starting point for a comprehensively organized micro-location; it references a series of accompanying functional elements of street equipment, such as information displays, advertising graphics, lighting, greenery, benches, etc., in line with the requirements of a particular location». (Saša J. Mächtig, «Phenomena in an urban environment», in: Kontakti, Nr. 1, Imgrad 1977, Seiten 5,6.) 

— Stefanie Manthey

Weiterführende Links

https://www.gta.arch.ethz.ch/ausstellungen/kiosk-k67-metamorphoses-of-a-system

http://www.mao.si/Exhibition/Sasa-J-Maechtig-Systems-Structures-Strategies.aspx

https://www.moma.org/calendar/exhibitions/3931#

http://www.citycreative.net/About

https://publicplan.eu/k67-kiosk-shots/

http://kioski.berlin

© Nelly Rodriguez
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