Fünfzig Jahre Wakkerpreis

Diesen Erfolg konnte der Genfer Geschäftsmann Henri-Louis Wakker nicht antizipieren. Dank seines Vermächtnisses an den Heimatschutz wird in seinem Namen seit 1972 jährlich ein Preis vergeben: Der Wakkerpreis zeichnet Gemeinden aus, die mit Bedacht ihr Ortsbild pflegen und ihren Siedlungsbestand entwickeln. Nun ist der Preis zurück in der Heimat von Wakker, und die Gemeinde Meyrin nordwestlich von Genf ist im Jubiläumsjahr an der Reihe.

Der Preis im Laufe der Jahre

Der Preis ist ein Spiegelbild seiner Zeit und entwickelt sich sukzessive. Während die Gemeinden der Anfangsjahre wie Stein am Rhein (1972) oder Guarda (1975) noch für ihre gut gepflegte Postkartenidylle ausgezeichnet worden sind, erfuhr der Preis in den 1980er Jahren eine Ausweitung. Nun waren auch gute ortsplanerische Lösungen in Gemeinden, die vor den Toren grosser Städte ihre dörfliche Identität in Frage gestellt sahen, preiswürdig – man denke an Muttenz (1983). Der Umgang mit historischer Bausubstanz, früher vielleicht als Dorferneuerung oder Stadtumbau noch belächelt, ist heute unter dem Stichwort des «Weiterbauens» nach wie vor aktuell. Nur kommen heute zu den Identitätsfragen, die in Zeiten des verdichteten Bauens vehementer zur Debatte stehen, noch die Argumente des Klimaschutzes dazu und damit die behutsame Pflege des Bestands.

Im Verlaufe der Jahre sind also neue Kriterien für den Preis hinzugekommen. Wenn neu gebaut werden muss, hat das höchsten Ansprüchen zu genügen. Wettbewerbsverfahren sind fast schon eine Pflichtübung, will sich eine Gemeinde für den Preis empfehlen. Mit dem Strukturwandel der Industrie und seinen brachgefallenen Arealen macht sich auch in der Schweiz die Idee breit, dass ein Hebel für gute Baukultur in cleveren Planungsverfahren zu finden ist. Vor kurzem hat dies die Stadt Langenthal (2019) mit einer innovativen Workshop-Methode erneut bewiesen. In jüngster Zeit hat die Kommission des Wakkerpreises ihre Kriterien weiter gelockert. So sind auch eine Institution wie die SBB (2005) oder eine Stiftung wie «Nova Fundazium Origen» in Riom (2018) mit dem Preis bedacht worden.

Meyrin und die Nachkriegsmoderne

Meyrin hat nicht allein seinen historischen Dorfkern gut gepflegt, sondern auch seine Bauten der Nachkriegsmoderne. Hier steht die erste Satelittenstadt der Schweiz, von Georges Addor, Jacques Bolliger und Louis Payot 1960–64 errichtet, heute saniert und teils mit Aufstockungen versehen, ähnlich wie die nur drei Kilometer südlich befindliche Siedlung Le Lignon des gleichen Entwerfers (vgl. wbw 11–2020). Beide Grosssiedlungen bleiben damit auch zukünftig noch wertvolle Zeugen der Geschichte. Doch nicht nur die Objekte, genauso stehen auch grünen Freiräume im Fokus, seien es die Parklandschaft der Nouvelle Cité oder der Alpingarten, der überregionale Bekanntheit geniesst. Die Bewohnerschaft des neuen Quartiers Les Vergers betreiben gar einen urbanen Landwirtschaftsbetrieb auf den Freiflächen des Écoquartiers. Dessen Architektur und Städtebau stehen aber leider etwas hinter den ökologischen oder sozialen Ambitionen zurück. Ein gelungener Beitrag ist hingegen die dort realisierte neue Schule samt Quartierzentrum von Sylla Widmann architectes (vgl. wbw 4–2019). Augenfällig bei der diesjährigen Preisvergabe ist zweifellos die starke Würdigung des Erhalts der Nachkriegsmoderne, neben den zivilgesellschaftlichen Prozessen, die sich im vitalen Vereinsleben oder den vielen Gemeindeaktivitäten spiegeln. So konnte sich Meyrin innerhalb von zwei Generationen von einem Bauerndorf zu einer Grossgemeinde entwickeln.

Interessant ist deshalb die Frage, wie die bisher ausgezeichneten Gemeinden den Preis nutzten und in welchem Selbstverständnis sie heute ihre Ortsentwicklung angehen. Mit diesen Überlegungen begleiten wir im Jubiläumsjahr den Wakkerpreis, konkret ein Forschungsteam der Hochschule Luzern, die an drei runden Tischen diese Frage an jeweils drei Gemeindeplanerinnen und Gemeindepolitiker stellt. Die Resultate dieser Gespräche werden im Lauf des Jahres in der Rubrik Debatte in werk, bauen + wohnen veröffentlicht.

— Roland Züger
© École des Vergers und Quartierzentrum in Meyrin, Sylla Widman architectes, Bild: Pierre Marmy
Anzeige