Radikal einfach

Studentenwohnen in der Rennbahnklinik

Daniel Kurz, Julian Salinas (Bilder)

Die Rennbahnklinik: ein Geschäftshaus an der Durchgangsstrasse wurde von sabarchitekten umgebaut.

Beim Umbau eines Geschäftshauses in Muttenz zu Studentenwohnungen gewannen sabarchitekten aus engen Kostenlimiten eine radikal schlichte Lösung.

Unmöblierter Wohnraum der Dreizimmer-WG im Kopfbau, Haus A, der Rennbahnklinik in Muttenz.

Rennbahn? Klinik? Das banale Geschäftshaus mit der grünen Vorhangfassade gleicht hunderten ähnlicher Bauten aus den 1970er oder 80er Jahren. Seinen speziellen Namen hat es von der hölzernen Radrennbahn, die einst hier stand und von der Sportklinik, die unter diesem Namen erfolgreich operierte, bis sie in einen eigenen Neubau umzog. Zum Fussballstadion St. Jakob, zur neuen Kunsthochschule der FHNW im Dreispitz wie auch zum bisherigen und dem zukünftigen Hauptsitz der Fachhochschule ist es nicht weit von diesem Standort an der Grenze zwischen Muttenz und Basel, und doch fühlt man sich hier mitten im Nirgendwo: eine breite Strasse, das Tram, Gewerbe und Einfamilienhäuser bilden die wenig inspirierende Umgebung. So blieb das Haus nach dem Auszug der Klinik unvermietbar, auch Käufer fanden sich nicht, und die Pizzeria im Erdgeschoss war neben einer Zahnarztpraxis während einem Jahr das einzige Lebenszeichen. Bis schliesslich die Idee auftauchte, die flexiblen Grundrisse für eine flexible Bewohnerschaft vorübergehend herzurichten.

Zweiseitig belichtete, möblierte Wohnküche der Gross-WG im 1. Obergeschoss von Haus B der Rennbahnklinik in Muttenz.

Zwischennutzung im Interesse aller

Es waren sabarchitekten aus Basel, die im Rahmen einer Studie die Idee aufbrachten: Könnte nicht eine Zwischennutzung als Studentenhaus dem Gebäude einen neuen Nutzungszyklus ermöglichen? Muttenz ist Sitz der Fachhochschule Nordwestschweiz, die gerade ein enormes Neubauprojekt stemmt.(1) Doch für die zukünftig 3700 Studierenden fehlen eigene Wohnmöglichkeiten, und besonders die wachsende Zahl von internationalen Gast- und Austausch-Studierenden hat Mühe, in Muttenz oder Basel Unterkunft zu finden. Die FHNW zeigte sich von der Idee des Studentenwohnens in der Rennbahnklinik begeistert, die Eigentümerin interessiert, und mit dem Basler Verein WoVe, der Wohngemeinschaften für Studierende verwaltet, fand sich ein spezialisierter Betreiber. Die Gemeinde Muttenz schliesslich freut sich über die erfolgreiche Umnutzung in unmittelbarer Nähe des Entwicklungsgebiets Polyfeld, zu dem auch der Neubau der FHNW gehört.(2)

Die Gebäudestruktur der Rennbahnklinik, typisch für ein Geschäftshaus dieser Art, ist eine Stützen-Platten-Konstruktion. Die Gebäudehülle ist zwar nicht besonders schön oder repräsentativ, aber noch für einige Jahre betriebstauglich. Ganz einfach war die Umnutzung trotzdem nicht: Zwar ist die WG eine überaus flexible Wohnform, die sich besser als andere in das vorhandene Stützenraster und die tiefen Grundrisse einpassen lässt. Doch Unregelmässigkeiten des Grundrisses vor allem im breiteren südlichen Kopfteil des Gebäudes sowie Lärmvorschriften erschwerten eine effiziente Flächennutzung. Dazu kam ein extremer Kostendruck aufgrund der zeitlich begrenzten Nutzungs- und Abschreibungsdauer. Ein möglichst einfacher Ausbaustandard war zwingend.

Der Korridor als Lesesaal der Rennbahnklink.

Radikale Ästhetik

Aus all diesen Einschränkungen gewannen die Architekten Themen für ihren Umbau: Es galt, aus den Grundrissen ein Maximum an gut ausgelegten Zimmern herauszuholen und Wohngruppen von unterschiedlicher Grösse und Raumstruktur zu bilden. Den Unregelmässigkeiten der Grundrisse und den sich ergebenden Restflächen rangen sie den Luxus von attraktiven und zum Teil sehr ungewöhnlich proportionierten Gemeinschaftsräumen ab – einige der Wohnküchen messen 100 Quadratmeter und mehr. Dieser räumliche Luxus kompensiert die bescheidene Fläche der meisten Einzelzimmer von rund 12 Quadratmetern. Die breiten Korridore der Gross-WGs mit möblierten Zimmern im nördlichen Gebäudeteil rüsteten die Architekten mittels einer durchgehenden Tischfläche unter dem Fenster zu Arbeitsflächen um, die an die Lesesäle von Bibliotheken erinnern.

Die engen Kostenlimiten veranlassten die Architekten zudem zu einer Ästhetik, die die Armut der Mittel durch radikalen Verzicht gewissermassen zur Arte povera erhebt. Rohe Betondecken und Unterlagsböden wie auch die unverkleideten Stützen wurden direkt übernommen. Schlichte, unverputzte Gipsständerwände bilden die Raumeinteilung, begleitet von offenen Kabelkanälen. Veredelt werden diese Einbauten durch Türzargen aus Sperrholz und schwarz gestrichene Türblätter. Sperrholz und schwarze Rahmen tauchen auch an der von den Architekten besorgten Möblierung wieder auf: Küchenzeilen vom schwedischen Möbelhaus, eigens entwickelte, mit Sperrholz beplankte Schrankelemente, ergänzt durch einfache Ausstattungselemente wie Betten, Stühle, Tische und Lampen in den möblierten Wohneinheiten.

Sehr viel Eigenleistung steckt in den Details: Dass jede Küche, jedes Bad sich durch eine eigene Art und Farbe von Keramikplatten auszeichnet, kommt daher, dass die Architekten beim Grosshändler Restbestände und angebrochene Packungen aufkauften. Entsprechend den begrenzten Mengen wurden die Plattenfelder individuell gezeichnet.

Mit ihrem Ansatz haben sabarchitekten die Knappheit der Mittel nicht überspielt, sondern zum Thema gemacht und als in sich stimmige, wenn auch nicht auf den ersten Blick gefällige Inszenierung umgesetzt. Die Architektur ist Collage, das Raue bleibt ungeglättet; billige Materialien erhalten in ihrem – durchaus nicht überall harmonischen – Zusammenklang eine neue Wertigkeit.

Blick in die möblierten Zimmer im 2. Obergeschoss von Haus B der Rennbahnklinik in Muttenz von sabarchitekten.

Preiswert heisst nicht billig

Mit rund 1000 Franken pro Quadratmeter ist der Umbau so preiswert ausgefallen, wie er sich präsentiert. Umso mehr erstaunt die Höhe der Mietzinse: Zwischen 550 und 800 Franken kostet ein möbliertes Zimmer, wobei alle Nebenkosten (rund 150 Franken) von der Heizung bis zum WLAN inbegriffen sind. Es sind die teuersten Zimmer im Portfolio der WoVe, einer Nonprofit-Organisation für Studierende, und der Preis liegt für sie «hart an der Schmerzgrenze». Doch auch der Eigentümer, ein Immobilienfonds der Pensimo Fondsleitung, verdient an der Zwischennutzung in bescheidenem Rahmen, wie er erklärt. Er stellt die Gebäudesubstanz, die sonst leer stehen würde, praktisch gratis zur Verfügung und hat die Hälfte der Umbaukosten direkt abgeschrieben. Erst nach einer Nutzungsdauer von mehr als acht Jahren würde eine bescheidene Rendite eintreten. Geld lässt sich mit günstigen Studentenwohnungen nicht verdienen. So ist es dem Engagement aller Beteiligten für eine gute Sache zu verdanken, dass in der Rennbahnklinik 60 Studierende in Räumen eigener Art wohnen können, zumindest für begrenzte Zeit.

(1) Das voluminöse Hochhaus mit zentralem Atrium von pool Architekten (Zürich) ist seit Juni 2015 im Bau und soll 2019 eröffnet werden.

(2) www.polyfeld.ch

Anzeige

Lesen Sie werk, bauen + wohnen im Abo und verpassen Sie keine Ausgabe oder bestellen Sie diese Einzelausgabe