«Unser erster Blick richtet sich immer auf das Territorio.» Die Aussage könnte von den Exponenten jener Tendenza stammen, welche Tessiner Architektur in den 1970er und 80er Jahren international bekannt machten, oder von Vertretern der jungen Generation Architekturschaffender im Südkanton. Doch sie steht im Leitbild eines Immobilienentwicklers. Das Unternehmen ist innert weniger Jahre zu einem der grossen Player aufgestiegen, welche den Tessiner Hochbaumarkt heute dominieren – und von Kritikern gerne für die uferlose Zersiedelung der Landschaft und den Verlust an Baukultur mit verantwortlich gemacht werden. Im Wort Territorium schwingen immer auch Fragen nach Besitz, Macht und Herrschaft über die Landschaft mit. Ist der moderne Diskurs über das Territorio dadurch schon obsolet geworden, dass er auch zur Rechtfertigung kommerzieller Interessen genutzt wird? Wir glauben: nein. Es ist gerade jetzt wichtig, dass sich möglichst viele der an den politischen, wirtschaftlichen und baulichen Prozessen Beteiligten über das gemeinsame Interesse an Qualität, Würde und Schönheit von Siedlung und Landschaft verständigen. Denn der südliche Landesteil befindet sich mitten in einem so tiefgreifenden Wandel, dass entschlossenes Handeln not tut, um eine historische Chance nicht zu verpassen: Mit den neuen Basistunnels durch den Gotthard und den Monte Ceneri rückt das Tessin näher an die Deutschschweiz und an Mailand – aber auch seine Kantonsteile rücken enger zusammen. Bedingt durch die landschaftliche Enge und die Begrenztheit des bebaubaren Bodens ist die Landschaft im Tessin besonders fragil – und bietet sich gleichzeitig eine äusserst vielversprechende Ausgangslage, um das Territorio zu «beherrschen», neu zu denken und zu gestalten. Wir hoffen, mit diesem Heft dazu beizutragen, dass daüber ein Common Ground entsteht, auf dem das Tessin eine neue städtebauliche Identität findet.
Der vielfach preisgekrönte Tessiner Fotograf Gian Paolo Minelli fokussiert auf seinen Erkundungstouren die unschöne Alltagsrealität im Kanton, an der Touristen ebenso wie Einheimische gern vorbeischauen. Seine Bilder zeigen keine Palmen oder Rebberge, keine Madonna del Sasso, keine Kastanienhaine oder Bergdörfer und auch keine stillen Alpweiden. Gian Paolo Minelli ist dort unterwegs, wo das Territorium geldwertes Bauland geworden oder zum schmalen Vorgarten hinter wehrhaften Lorbeerhecken geschrumpft ist. Er geht nahe an die Dinge heran, analysiert mit präzisem Blick bauliche Kollisionen, lieblos hinterlassene Resträume und verletzte Landschaften. Mit dem Ernst des Forschers sammelt er Tatbestände – und lässt aus ihnen Bilder von grosser ästhetischer Kraft entstehen. Minelli hat die Bildstrecken zu diesem Heft fotografiert.
Alberto Caruso legt den Finger auf die Wunden der Tessiner Architektenexistenz: Schon der Erfolg der Tessiner Tendenza beruhte primär auf der Bauaufgabe des Einfamilienhauses. Dieses füllt auch heute die Auftragsbücher der Architekturschaffenden, zugleich repräsentiert es das urbanistische Kernproblem, die Zersiedlung. Derweil hat sich der Immobilienmarkt von der Architektur entfremdet, und es ist ein «doppelter Markt» entstanden: je einer für die Kultivierten und einer für die Opportunisten.
Originaltext Italienisch
Ökonom und Architekt sind sich einig: AlpTransit Gotthard und die neue Tessiner S-Bahn versprechen dem Kanton einen neuen Boom. In ihrem Gespräch unterhalten sie sich über die Eigenheiten des Tessins, verpasste Chancen und anstehende Herausforderungen. Gemeindefusionen können dazu beitragen, dass das Kirchturmdenken aufhöre, hofft Maggi. Eine neue Vision müsse zu kollektivem Handeln führen.
Wird das Tessin mit den neuen Bahninfrastrukturen zur Città Ticino? Wie lassen sich in den stark beanspruchten Talböden landschaftliche Freiräume erhalten? Wie wird die Verdichtung gestaltet? Und warum entstehen grosse Planungen oft ohne Wettbewerb? Planer, Architekturschaffende und ein Politiker debattieren über die Planung im Kanton.
Nachdem Caspar Schärer im Heft 4–2018 zu unvoreingenommener Neugier auf die Agglomeration eingeladen hat, spielen Reto Pfenninger und Barbara Lenherr den Ball weiter. Ihre Strategie: Low Rise und moderate Dichte. Ihre Forschung an der FHNW zeigt konkrete Wege auf.
Vor drei Jahren konnte im Garten der Schweizer Botschaft in Algier ein neues Kanzleigebäude von Bakker Blanc Architekten eingeweiht werden. Nun muss die Villa einem Neubau weichen.
Lütjens Padmanabhan haben den Wettbewerb gewonnen, Hubertus Adam deutet die Zeichen.
Robert Obrist, 1937 – 2018
Peter Bosshard, 1942 – 2018
Die Fotos von Klaus Kinold sind so legendär wie seine Sujets: Bauten von Mies van der Rohe und Rudolf Schwarz. In Innsbruck hängt derzeit eine Auswahl der Kinoldschen Ikonen in einer Ausstellung, Ekkehard Drach hat sie in den Blick gefasst.
Zwei Wohnbauten für Studierende im historischen Kontext: Cowan Court ist eine Erweiterung des Churchill College in Cambridge von 6A architects, die Chadwick Hall der Universität Roehampton in London eine Ergänzung von Henley Halebrown.
Originaltext Englisch