Innen wie aussen

Die Geschichte mit dem Kalksandsteinmauerwerk

Jacqueline Fosco-Oppenheim

Siedlung «Auf dem Höli» in Scherz, erbaut 1976: einfache Bauweise für ein einfaches Leben.

Wie auf der Ebene des Entwurfs die geometrischen Primärformen Kreis, Dreieck und Quadrat ist auf der Ebene des Materials der Kalksandstein ein Leitfossil der Achtzigerjahre. Warum? Jacqueline Fosco-Oppenheim erinnert sich an das Entwerfen mit KS.

Die Masse des Kalksandsteins bestimmen alle Dimensionen des
Raums.

Als Vorbereitung auf diesen Rückblick haben wir uns gemeinsam gefragt, was uns am unverputzten Kalksandsteinmauerwerk interessiert hat. Für Klaus Vogt stand ursprünglich der handwerkliche Aspekt im Vordergrund, für Benno Fosco und mich das «unfertig Bauen». Natürlich waren für uns alle drei die Kosten sehr wichtig, und der Stein als Modul hat uns interessiert. Aber am wichtigsten war uns die Reduktion auf das strukturell Allernotwendigste. «Form Follows Structure» war lange, oder ist noch immer, unsere heimliche Entwurfs-Hoffnung.

Zusammen mit Klaus Vogt haben wir 1973 /74 als erstes gemeinsames Projekt die Siedlung «Auf dem Höli» gebaut, in Scherz. Unverputztes Kalksandsteinmauerwerk innen und aussen. Klaus Vogt hatte kurz vorher, 1969, sein eigenes Haus so gebaut. Benno und mich hat dieses Haus überzeugt. Und es hatte den Vorteil, dass wir allen, die sich für die neue Siedlung interessierten, einen Referenzbau zeigen konnten. Das Motto hiess: Grosszügig das Lebensgefühl, spartanisch die Machart. Dass der Kalksandstein jemals als zeittypisches Baumaterial der Achtziger Jahre gelten könnte, dafür fehlte uns jedes Bewusstsein.

Wir kümmerten uns um handwerklich-konstruktive Fragen wie Dilatationsfugen, Sturzausbildung, Fenster und Türanschlag, Modularität horizontal und vertikal, Deckenstärken, Stabilität, Zweischalenmauerwerk. Und alles immer unter dem Aspekt der Reduktion von Material, Arbeit und Kosten. Weglassen war das Rezept: Dilatationsfugen gab es nicht, sie wurden als fensterbreite Schlitze ausgebildet; 79, 131 oder 183 cm breit, je nachdem, ob das Fenster 3, 5, oder 7 Steine breit gewählt wurde. Eine von vielen disziplinierenden Spielregeln, die uns beim Höli ermöglichten, die zukünftigen Hausbesitzerinnen am konkreten Entwurf ihres Hauses zu beteiligen. 26 cm lang, 12 cm stark und 14,5 cm hoch: Stossfuge 10 mm, Lagerfuge 10 mm. Der Kalksandstein als Modul bestimmte von Anfang an alle Masse, wurde zum alles bestimmenden «KS-Modulor». Nicht nur die Fenster, auch Türen, Pfeiler, Raum- und Brüstungshöhen wurden als Vielfaches oder Bruchteil des KSModuls festgelegt – sogar die Stärke der Betondecke fügt sich in diese Ordnung ein, verlangt aber kurze Spannweiten.

Siedlung «Auf dem Höli», Scherz: Die Fensteröffnungen sind auch Dilatationsfugen, Aufnahme von 2014.

Einfaches wird kompliziert

Schwieriger war schon die Frage der zweischaligen Aussenwand. Unverputztes Kalksandsteinmauerwerk innen, unverputztes Kalksandsteinmauerwerk aussen, getrennt durch die Dämmschicht. Eine gespaltene Mauer. Und dieser Widerspruch zur Theorie der nackten Konstruktion hat sich im Lauf der Jahre verstärkt. 1974, auf dem Höli, brauchten wir 6 cm Sagex als Dämmung, 1 cm Hinterlüftung, bzw. Entspannungsschicht für eindringenden Schlagregen. Die Rückbindung der äusseren Mauerschale an die tragende Innenwand erfolgte mit einfachsten Metallbügeln im Bereich der Deckenauflager. Mit diesem Aussenwandaufbau und einem konsequenten Verzicht auf Wärmebrücken – damals nannten wir sie noch Kältebrücken – waren wir kurz nach der Ölkrise 1973 Pioniere der Wärmedämmung. Die thermischen Anforderungen an die Aussenwand verschärften sich jedoch laufend. 1986, bei unserem letzten Kalksandsteinhaus an der Hardeggstrasse in Zürich, brauchten wir eine Dämmschicht von 18 cm zwischen der inneren und der äusseren Mauerschale. Dies wiederum bedingte teure Gelenkbügel, umfangreiche Fugenarmierungen und Gleitlager für aufliegende Decken. Das «einfache Bauen» war kompliziert und teuer geworden. Die Zeit des unverputzten Kalksandsteinmauerwerks war für uns vorbei.

Leider haben wir Eladio Dieste, den genialen Ingenieur-Architekten aus Montevideo, erst viel später entdeckt. Vielleicht hätte uns sein virtuoser Umgang mit armiertem Mauerwerk zu weiteren Kalksandsteinbauten animiert. Das unverputzte Kalksandsteinmauerwerk als Ausdruck von «unfertigem» Bauen hat sich im Gebrauch über die Jahre bewährt. Auf dem Höli sind mögliche Verbindungstüren als Option zwischen den Häusern und innerhalb der Häuser als zugemauerte Öffnungen mit Sturz zu finden. Entgegen unseren bescheidenen Erwartungen wurden diese Möglichkeiten vielfach genutzt. In den ersten Jahren wurden die Öffnungen eher reduziert, zugemauert, im späteren Gebrauch wieder aufgebrochen, um Räume neu zu verbinden. Und vermutlich nur, weil es so einfach ist. Das nackte Mauerwerk und die belagslosen Betonböden erfordern weder Anpassungs- noch Reparaturarbeiten. Ein Vorschlaghammer zum Abbrechen und Maurerutensilien zum Zumauern der Türfüllung genügten. Allerdings gilt das nur für unser erstes Projekt, die Siedlung «Auf dem Höli». Für einige Mieter der Häuser am Kienastenwiesweg waren die Unvollkommenheiten des unverputzten Mauerwerks im Innenraum schwer zu tolerieren und sie versuchten, zum Teil mit untauglichen Mitteln, (z.B. mit Spannteppichen) die fehlende Perfektion herzustellen. Für uns eine Faust aufs Auge. Die Häuser an der Arosastrasse und die REZ-Häuser an der Limmat sind deshalb innen verputzt: Gepflegter Ausbau mit Gipsglattstrich an Wänden und Decken, Parkettböden, Futter und Verkleidung an Fenster und Türzargen, wie es sich gehört und niemanden erschreckt.

Urgewöhnlicherweise, und das ist nicht unser Verdienst, weisen alle drei Grundstücke eine gekrümmte Parzellengrenze gegen Süden auf. Am Kienastenwiesweg ist es ein Flurweg der Langholzkorporation, der die Krümmung vorgibt, an der Arosastrasse die Kurve des Bahntrassees und an der Hardeggstrasse der Limmatbogen. Da wir mit den Gebäudevolumen diesen gebogenen Grenzen gefolgt sind, haben diese drei Gebäude gekrümmte Fassaden, und es war für uns beim Entfernen des Gerüsts jedes Mal eine Überraschung: Die bescheidene Kalksandsteinmauer wird in der Krümmung zum prall geblähten Segel und vermittelt dem Gebäude eine strahlende Präsenz. Ein Geschenk.

Insgesamt ist es uns immer auch darum gegangen, durch die sorgfältige und systematische Verwendung von armen, meist kleinteiligen Materialien ein grösseres Ganzes zu erzeugen. Viele kleine, hässliche Entlein zu einem grossen Schwan zusammenbauen, das könnte unsere Art der Materialisierung sein. Ob das charakteristisch für die Achtziger Jahre ist, wissen wir hingegen nicht.

Die Architektin Jacqueline Fosco-Oppenheim, geboren 1942, machte 1968 ihr Diplom an der ETH Zürich. 1970 bis heute Zusammenarbeit mit Benno Fosco und Klaus Vogt, als Fosco Fosco-Oppenheim Vogt Architekten. 1986 – 2006 Lehrtätigkeit in Entwurf und Konstruktion an der Zürcher Hochschule Winterthur ZHAW.

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