Es geht!

CAP talk #8 mit Martin Neukom, grüner Regierungsrat des Kantons Zürich und Vorsteher der Baudirektion

Manchen Architektinnen bereitet der Climate Action Plan CAP Kopfzerbrechen, mancher Bauherrschaft Bauchschmerzen. Was spürten Sie beim Lesen?

Freude und Inspiration! Ich habe gleich ein paar Ideen abgeschaut für die kantonale Klimastrategie.

Als Baudirektor sagen Sie nicht «unmöglich!»?

Im Gegenteil. Auf die Formulierung «es geht nicht» bin ich allergisch. Die Geschichte zeigt, dass es bei Veränderungen fast immer Leute gibt, die sagen, es gehe nicht. So auch bei den erneuerbaren Energien. Heute hat Dänemark einen Windstromanteil von 50 Prozent, und in Deutschland haben die erneuerbaren Energien 2019 mehr Strom produziert als die fossilen. Es geht.

Sie verhängen also demnächst ein Moratorium auf neue Infrastruktur bis 2030, wie es die CAP-Massnahme 1.1 verlangt?

Natürlich nicht. Das wäre materielle Enteignung und in unserem Rechtsstaat nicht umsetzbar. Ausserdem haben wir Bedarf an Neubauten, zum Beispiel für die Bildung. Nicht zu bauen, ist für uns nicht möglich.

Was tun Sie stattdessen für das Klima?

Die Baudirektion hat zwei Hebel. Erstens fördern wir die Entwicklung des nachhaltigen Bauens in Wettbewerben und mit Pilotprojekten. Wir verbauen pro Jahr fast eine halbe Milliarde Franken, Tendenz steigend. Das hat einen Einfluss auf die Baubranche. Zweitens kann die Baudirektion Gesetzesrevisionen vorschlagen mit Vorgaben, die für alle, die im Kanton Zürich bauen, gelten.

Der CAP will umgekehrt vorgehen: Regulieren, um die Entwicklung zu erzwingen. Aus purer Dringlichkeit.

Dieses Huhn-Ei-Problem bringt jede neue Technik mit sich. Oslo zum Beispiel will ab 2030 auf den städtischen Baustellen nur noch elektrische Baumaschinen erlauben. Das möchte ich auch versuchen. Aber es gibt noch zu wenig solcher Maschinen. Also beginnen wir damit, bei Ausschreibungen Punkte dafür zu vergeben. Das weckt die Nachfrage und stimuliert die Entwicklung. Kommt die Sache ins Rollen, können wir mit Mindestvorgaben nachlegen und sie schliesslich zur Pflicht erklären. Dazu sind aber eine gewisse Marktdurchdringung und Herstellungskapazitäten nötig.

Abreissen und neu bauen oder sanieren: Was energetisch besser ist, wird heiss diskutiert. Wo stehen Sie?

Das muss man genau abwägen. Baut man neu und energieeffizient, verbraucht das Haus zwar wenig Energie im Betrieb. Dafür fällt die graue Energie für Abbruch, Aushub, Herstellung und Bau umso mehr ins Gewicht. Wenn immer möglich, bin ich für energetisches Sanieren.

Wie gelingt dann die Verdichtung?

Es gibt Fälle, da ist im Sinne der Verdichtung ein Neubau gerechtfertigt. In anderen Fällen ist es sinnvoller im Bestand weiter zu bauen. Das kann auch heissen ein bestehendes Gebäude aufzustocken, wenn die Statik es zulässt.

Sinnvoll wären auch kleine Massnahmen: Wann wird die Zahl der Pflichtparkplätze reduziert, die man bei Bauprojekten erstellen muss? Das könnte die eine oder andere Tiefgarage einsparen.

Dazu kann ich noch nichts Konkretes sagen, aber es laufen Überlegungen in diese Richtung.

Welche baulichen Vorgaben würden dem PBG ausserdem gut anstehen: Eine Netto-Null-CO2-Bilanz? Ein Anteil wiederverwendeter Baustoffe und Bauteile von 50 Prozent?

Die Bilanzfrage ist wichtig, und sie wird kommen. Aber wir sind damit noch im Frühstadium. Bauen ist schon kompliziert, wir müssen wissen, was wir regulieren wollen, auch um Rebounds zu vermeiden. Beim Material-Recycling ist die Baubranche unterwegs. Wir als Baudirektion prüfen in einem nächsten Schritt, wie wir auch das Bauteil-Recycling umsetzen können.

Das Submissionsgesetz verlangt nach dem günstigsten Angebot. Darum verbaut die öffentliche Hand mitunter Granit aus China für Randsteine. Ist das noch zeitgemäss?

Nein. Aber wir können schon heute neben dem Preis auch Kriterien wie Qualität oder Ökologie berücksichtigen. Und falls der Kanton Zürich demnächst der revidierten interkantonalen Vereinbarung über das öffentliche Beschaffungswesen IVöB beitritt, rücken Qualität und Ökologie noch mehr ins Zentrum.

CAP-Massnahme 3.3 will biologisch basierte Baumaterialien fördern und verlangt, dass ein Gebäude mindestens zur Hälfte aus Holz oder anderen organischen Materialien wie Hanf oder Stroh besteht. Machbar oder nicht?

Noch nicht. Aber dieses Gebiet wird sich stark entwickeln. So gibt es zum Beispiel Pilze, die sich als Baumaterial eignen. (vg. wbw 5–21, S.31). Wir stehen dazu in Kontakt mit der EMPA. Beim Holz geht es mit grossen Schritten voran. Wir haben grosse eigene Holzbauprojekte wie das Zentrum für Zahnmedizin, und in Kürze schreiben wir erstmals ein Projekt aus, für welches man sich nur mit einem Holzbau bewerben kann. Allerdings werden wir für diese Grossprojekte Holz importieren müssen.

Sie nennen vielfach Technologie als Lösung – was ist mit Verhaltensänderungen?

Es ist einfach so: Wenn wir Probleme mit Technologie lösen können, dann funktioniert es. Wir können rasch etwas entwickeln und gegebenenfalls auch durchsetzen. Die Gesellschaft verändert sich auch, aber nur sehr langsam. Wir wissen seit 40 Jahren, dass wir weniger Auto fahren sollten, aber wir fahren eher mehr als weniger. Den Leuten zu sagen, was sie zu tun haben, ist selten zielführend.

Ende November stimmte der Kanton Zürich Ihrem Vorschlag für das Energiegesetz zu. Neue Öl- und Gasheizungen sind nun verboten. Aber bestehende dürfen weiterlaufen. Der CAP dagegen verlangt ihren rechtzeitigen Ersatz sowie flankierende Massnahmen für den Mietmarkt, um die «kohlenstoffarme Gentrifizierung» zu verhindern. Da wirkt Ihr Vorschlag vergleichsweise mild.

Dafür hat er in der Bevölkerung eine deutliche Mehrheit gefunden, was sehr erfreulich ist Wäre er gescheitert, weil er für viele zu weit gegangen wäre, würden wir jetzt wieder von vorne anfangen. Ausserdem gibt es im Kanton noch 120'000 Öl- und Gasheizungen. Zurzeit werden davon rund 6'000 pro Jahr ersetzt. Möchten wir sie bis angenommen 2030 alle sanieren, wären das 15'000 pro Jahr. Wir würden in einen gewaltigen Fachkräftemangel hineinlaufen.

Sie erwähnten, dass Sie aus dem CAP abgeschaut haben. Verraten Sie uns was?

Die Idee «One-Stop-Shop» für energetische Sanierungen. Dazu möchte ich ein Konzept ausarbeiten. Es mag ja Hauseigentümerinnen und Hauseigentümer geben, die sich gerne mit Bauprojekten beschäftigen. Ich dagegen wäre ein fauler Eigentümer. Wir müssen den Umstieg auf erneuerbare Heizsysteme und energetische Sanierungen so einfach wie möglich gestalten. Spannend wäre also, wenn beispielsweise die Hausbank ihren Hypothekarnehmern ein All-Inclusive Modell anbieten könnte: Haus analysieren, Massnahmen vorschlagen, finanzieren, umsetzen.

Da fehlt etwas: Wo bleibt die gute Architektur in Ihrem Modell?

Architektinnen und Architekten braucht es natürlich weiterhin. Jemand muss die Fäden zusammenhalten. Denn eine Haussanierung bringt es schnell einmal mit sich, dass fünf verschiedene Handwerker und Fachleute koordiniert werden müssen.

Es gibt viel zu tun. Wie sollen es die Architektinnen und Architekten anpacken?

Die Forderung, klimagerecht zu bauen, ist kein Angriff, sondern eine Herausforderung. Seid kreativ! Und bleibt damit nicht in den eigenen Reihen. Tragt die Diskussion um das klimagerechte Bauen in die Bevölkerung!

— Rahel Marti

Martin Neukom (1986) ist seit 2019 grüner Regierungsrat des Kantons Zürich und Vorsteher der Baudirektion. Er ist gelernter Mechatronik-Ingenieur, hat einen Master in Solaren Energiesystemen und zur Physik von Solarzellen doktoriert.

CAP talks

Die gemeinsame Gesprächsserie CAP talks von werk, bauen + wohnen und Hochparterre zum Climate Action Plan kann online und in beiden Heften gelesen werden. Das letzte Gespräch führten wir mit Pascal Bärtschi, CEO Losinger Marazzi.

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Martin Neukom. Bild: Artischock.net