Artikel aus wbw 12–2023

Rudolf Schilling

«In den 1960er Jahren berichtete kaum jemand über Stadtplanung, obwohl sie alle was anging!»

Ich war einer der wenigen Nicht-Architekten in der ZAS. Am Fleischhallenprotest war ich nur dabei, weil mich mein Bruder, Jakob Schilling, mitgenommen hatte. Er war neun Jahre älter und hatte mir sein ganzes Architekturstudium lang immer erzählt, was er gerade an der ETH lernte. Selbst wollte ich aber nie Architektur studieren.

Stattdessen habe ich mich für Germanistik entschieden, habe promoviert und bin dann Redaktor geworden, zuerst bei der NZZ, ab 1971 war ich beim Tages-Anzeiger-Magazin. Nebenher schrieb ich Bücher, vor allem zu Themen der Stadtplanung. Meine Position bei den Zeitungen nutzte ich, um Stadtentwicklung und Planung in die Diskussion zu bringen. Sie müssen sich vorstellen, dass in den 1960er Jahren in der Tagespresse kaum jemand darüber berichtete, obwohl es alle was anging!

Warum wir gegen Abrisse protestierten? Es machte mich einfach betroffen zu sehen, wie sich Orte meiner Lebenswelt veränderten und Bauten verschwanden, die mir persönlich etwas bedeuteten. Das war bei Rolf Keller noch viel stärker: Er fuhr mit seinem weissen Peugeot nie über den Escher-Wyss-Platz. Die Hardbrücke darüber war für ihn eine persönliche Kränkung. Eigentlich war er die «Urmutter» der ZAS: Den Fleischhallenprotest hatte er angestossen und auch das Galerie-Projekt als Gegenvorschlag zum Abriss. Wenig später war die ZAS auch am Stadelhofen dabei. Dort protestierten wir gegen die Fällung der schönen alten Platanen. Die sollten weg, damit Tram und Forchbahn komfortabler aneinander vorbeikamen. An dem Abend war der Platz voller Leute, ich sollte auch was ins Megafon skandieren, Himmel, war ich nervös. Später begleitete ich die Alternativplanung der ZAS für die Stadelhoferstrasse als Redaktor der NZZ.

Im Grunde hatte die ZAS drei Instrumente, mit denen sie auf ihre Ideen aufmerksam machte: politische Einflussnahme, Aktivismus und Publikationen. In politischen Gremien waren Niklaus Kuhn und Heinz Hess. Mit ihnen waren unsere Anliegen in unterschiedlichen Parteien vertreten. Gegen die Strassenprojekte und das Parkhaus am Hechtplatz organisierten wir sogenannte Tatzelwurm-Demos. Es wird ja nur über etwas Aussergewöhnliches berichtet, das brachte uns Aufmerksamkeit. Giorgio Crespo hat sich die alle ausgedacht. Crespo hatte nie ein richtiges Architekturbüro, aber er war einfach grossartig, wenn es darum ging, für Aktionen zu mobilisieren. Ich schrieb dann oft die Plakate und Flugblätter, gleichzeitig war ich auch an den Berichten der ZAS beteiligt, weil ich als Journalist mit Sprache umgehen konnte.

Am stärksten forderten uns die Verkehrsprojekte heraus. Der Cityring um die Altstadt war ein Riesenthema. Doch wir hatten gute Beziehungen ins Stadtplanungsamt. Die Chemie mit dessen Leiter Gerhard Sidler stimmte, so konnten wir in Studien Alternativen aufzeigen. In den 1970er Jahren kam dann die grosse Abstimmung zum Expressstrassen-Ypsilon. Allein hätten wir den Protest nie stemmen können. Wir schlossen uns deshalb mit den Fachverbänden BSA und SWB zusammen. Auch ein paar betroffene Industriebetriebe wie Schoeller wehrten sich dagegen und unterstützten uns finanziell. Wir hatten Erfolg: Das Ypsilon kam nicht. Ein paar Jahre später machten die Fabriken dennoch dicht, die Produktion verschwand aus dem Kreis 5 — aber das ist eine andere Geschichte.

Rudolf Schilling (1940) im Gespräch mit Lucia Gratz am 25.4.2023.

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