Artikel aus wbw 5–2024

Gespielter Dialog

Play the City mit Ekim Tan

Maxime Zaugg, Play the City (Bilder)

Im Spiel erfährt der Mensch die Welt. Dass dies auch partizipativen Planungsprozessen dient, erforschte Ekim Tan in Delft, bevor sie es weltweit erprobte.

Der Akt des Spielens verkörpert die Begeisterung für das Mögliche – eine Perspektive, die der niederländische Kulturhistoriker Johan Huizinga in seinem 1938 veröffentlichten Werk Homo Ludens: Vom Ursprung der Kultur im Spiel vertritt.1 Huizinga erforschte, wie das Spielen unsere menschliche Kultur beeinflusst und uns unsere individuellen Eigenschaften entdecken lässt. Gerade für Architektur und Stadtplanung wird diese Schnittstelle zum Spiel zunehmend zu einem vielbeachteten Forschungsgebiet.2 Eine wichtige Pionierin in diesem Feld ist Ekim Tan. Die Architektin, Urbanistin und promovierte Spieldesignerin setzt sich vertieft mit der Rolle des Spiels in Planungsprozessen auseinander. An der TU Delft untersuchte Tan kollaborative und partizipative Stadtentwicklungsprozesse, auch anhand eigenständig durchgeführter City-Game-Experimente. Durch ihre Forschung gelang Tan zur Erkenntnis, dass erfolgreiche partizipative Prozesse am besten durch die Einführung von einfachen Spielregeln (simple rules) ermöglicht werden. Basierend auf diesen Erkenntnissen gründete Tan das Unternehmen Play the City, das seit 2010 weltweit partizipative Prozesse in komplexen urbanen Situationen organisiert. Tan und Play the City verstehen Städte als offene, selbstregulierende Systeme, welche von verschiedenen Akteurinnen und Akteuren sowohl top-down – durch Stadtplaner, Politikerinnen, Unternehmen – als auch bottom-up – durch Bewohnerinnen und Aktivisten – geformt werden. Diesen fortwährenden Prozess unterstützt Play the City durch den eigens entwickelten City-Gaming-Ansatz.


Im Fachgebiet und darüber hinaus

Beim City Gaming werden komplexe urbane Strukturen durch Vereinfachung, Abstraktion und Modellierung erfasst, um in mehreren Spieldurchläufen innovative Lösungen zu generieren, die dann in die reale Umgebung integriert werden können. Die Teilnehmenden sind durch das gemeinsame Ziel verbunden, die Stadtgestaltung zu verbessern, wobei alle ihre individuellen Perspektiven und Fähigkeiten einbringen. Im Gegensatz zu standardisierten Spielen wird City Gaming für jede Sitzung individuell angepasst. Zum Spiel stossen Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus verschiedenen Bereichen wie dem Bauwesen, der Investitionsbranche, öffentlichen Institutionen, der Anwohnerschaft, aus Wohnungsbaugesellschaften sowie aus der Technologie- und Kreativindustrie, wobei alle ihre eigenen Interessen vertreten und Fachwissen einbringen. Das Spielkonzept fordert und hinterfragt aber auch auf spielerische Weise diese Fähigkeiten und Kenntnisse der Teilnehmenden, indem es sie dazu anregt, über das Fachgebiet hinauszuschauen und neue Lösungsansätze zu entwickeln. Die Unverbindlichkeit des Spielens ermögliche es ihnen, entspannter und offener zu sein und sich leichter auszutauschen, so Ekim Tan.

Handlungsfelder in der ganzen Welt

In vielen Fällen wird das Spiel von lokalen Regierungen in Auftrag gegeben. Sie wollen damit eine innovative Plattform schaffen, um die Komplexität städtischer Herausforderungen anzugehen und kollektive, kreative Lösungen zu fördern: Das Koepelgevangenis (kurz Koepel), ausgestattet mit der namensgebenden über 40 Meter hohen Kuppel, ist ein ehemaliger Gefängnisbau in der niederländischen Stadt Breda, dessen städtebauliche Entwicklung seit März 2020 im Auftrag der Stadt von Play the City begleitet wird. «Play the Koepel» ermöglicht es den Spielenden, mit verschiedenen physischen Bausteinen für die zukünftige Gestaltung des Koepelkomplexes zu interagieren und dabei sowohl städtische als auch soziale Werte zu berücksichtigen. Das Spiel bietet ein 1:300-Spielbrett-Modell der Anlage sowie 3D-Bausteine und Strategiekarten, um innovative Programme und nachhaltige Transformationen auszutesten und anhand der verschiedenen Spielverläufe den Entscheidungsträgern relevante Daten zu liefern. Die Ergebnisse fliessen in die Planung und die Nota van Uitgangspunten (Grundsatzerklärung) der Stadt Breda ein, um die Transformation des Komplexes zu gestalten und in einem weiteren Schritt einen neuen, passenden Eigentümer und Entwickler zu finden.

Khayelitsha hingegen ist eines der grössten Townships von Südafrika mit mehr als einer halben Million Menschen am südöstlichen Stadtrand der Metropole Kapstadt. Der für das Areal vorgeschlagene Entwicklungsplan stiess auf heftigen Widerstand, weil die lokale Bevölkerung nicht in die Planung einbezogen wurde.3 Als Reaktion entschied sich die städtische Regierung, ihren ursprünglichen Planungsvorschlag zurückzuziehen. Stattdessen wurde Ekim Tan mit Play the City beauftragt, einen partizipativen Planungsprozess durchzuführen. «Play Khayelitsha» wurde bereits zwischen Februar und November 2014 gespielt, in fünf Sitzungen mit insgesamt über 120 Akteurinnen und Akteuren. Allen Teilnehmenden wurde, entsprechend ihrer Beziehung zum Ort, eine von sechs Rollen zugewiesen, um ihr spezifisches Fachwissen einfliessen zu lassen. Diese Rollen spiegelten diverse Interessen wider: die lokale Gemeinschaft, städtische Behörden, die Lokalpolitik, technische Beratung, Investorinnen sowie Landbesitzer. In der ihnen zugewiesenen Funktion wurden die verschiedenen Akteurinnen und Akteure zum Spiel gebeten. Mit Hilfe bunter Spielsteine – welche physische Einheiten (Wohnungen, Geschäfte), aber auch organisatorische Komponenten (öffentliche Einrichtungen, soziale Netzwerke) darstellten – und eines massstäblich skalierten Modells von Khayelitsha wurde die städtebauliche Entwicklung spielerisch und ad hoc diskutiert.

Physisches Modell als Spielraum

Laut Huizinga bewegt sich das Spielen innerhalb seines geschützten Spielraumes, seines Spielplatzes, der materiell oder nur ideell, absichtlich oder unbewusst im Voraus abgesteckt worden ist.4 Diese Vorstrukturierung spielt laut Ekim Tan eine zentrale Rolle im partizipativen Ansatz von Play the City, bei dem sich die Teilnehmenden in einem vorbereiteten Rahmen aktiv über das physische Modell austauschen. Der spielerische Ansatz erleichtert die Initiierung eines Dialogs, aber auch die Moderation zwischen den Spielenden, indem er eine leichter zugängliche Kommunikationsplattform bietet. Darüber hinaus dient das Spiel als hilfreiches Instrument, um den Fortschritt der Diskussion visuell und textlich, in Fotos, Videos und in Berichten, sowie auch die Zwischenstände des Spiels festzuhalten und zugänglich zu machen. Dieses Festhalten ist entscheidend, da sonst wichtige Aspekte und Ergebnisse der intensiven Diskussionen und Verhandlungen verloren gingen. Das physische Modell des Spiels ermöglicht somit eine nachhaltige Dokumentation der komplexen Diskussionen und fördert einen klaren Überblick über die Vielzahl an besprochenen Themen. In Kapstadt führte das gemeinsame Spielen am Modell schnell zu konkreten Erkenntnissen über die Notwendigkeit von Investitionen in einfache Infrastruktur wie Beleuchtung und Fussgängerzonen, die die Sicherheit erhöhen und den nächtlichen Handel fördern. Dies zum Vorteil aller Beteiligten, der Anwohnerinnen, der Ladenbesitzer bis hin zu den Investierenden.

Zwingende Verpflichtung zur Umsetzung

Ein kritisches Element, das in partizipativen Prozessen oft vernachlässigt wird, ist die Nachbereitung: Was passiert nach dem partizipativen Prozess hinsichtlich Auswertung und Umsetzung der gewonnenen Erkenntnisse? Play the City nimmt auch hier eine Vorreiterrolle ein, indem das Büro Aufträge nur annimmt, wenn es eine vertragliche Vereinbarung über die tatsächliche Umsetzung der erarbeiteten Lösungen gibt. Diese strikte Vorgehensweise sichert, dass die partizipativen Prozesse in konkrete Handlungen münden. Die Verpflichtung zur Umsetzung ist entscheidend, um das Vertrauen in demokratische Abläufe aufrechtzuerhalten und zu stärken. Sie stellt sicher, dass die Stimmen der Teilnehmenden gehört werden und zu konkreten Veränderungen führen. Ekim Tan erinnert sich an die Zeit in Khayelitsha nach den ersten Spielen: Damals wurde sie von lokalen Farmern, die ihr Land urbanisieren wollten, gebeten, ein weiteres Spiel zu entwickeln, das auch die städtische Gemeinschaft in dieses Vorhaben miteinbezog. Im Gegensatz zu früheren Spielen kamen diese Anfragen nun direkt von den Landnutzern und nicht von der Stadtverwaltung. Das zeigt, wie das Spiel in lokale Diskussionen eingebunden ist und so zum akzeptierten Teil des Dialogs wird.

Wie kann das Spiel nachhaltig wirken?

Auch die zeitliche Dimension und der Vernetzungsgrad der City Games untereinander sind essenziell für die effektive Einbettung solcher Spiele in die gesellschaftlichen Strukturen. Ein einmaliges Spielereignis reicht nicht aus, um eine nachhaltige Wirkung zu erzielen; vielmehr muss das Spielen langfristig konzipiert sein und fest in das soziale Gefüge integriert werden. Ekim Tan schwebt ein Network of Games vor, das die Spiele mit diversen Datensätzen verknüpft. Eine digitale Vernetzung mit vorhandenen Ressourcen ermöglicht es, die Auswirkungen von Vorschlägen auf Energie und Finanzen direkt zu quantifizieren. Dies fördert einen effektiveren Austausch zwischen Betroffenen, Fachleuten und der Öffentlichkeit, indem es die Komplexität von Stadtentwicklungsprozessen greifbar macht.5 Der Balanceakt zwischen Ernsthaftigkeit und spielerischer Teilnahme fordert zudem eine echte Beteiligung aller Akteurinnen und Akteure. Der Dialog als produktive Methode steht im Mittelpunkt. Das bewusste Orchestrieren der Teilnahme und die Betonung der Verantwortung jedes Einzelnen unterstreichen die Bedeutung klar definierter Rollen. Es geht um mehr als nur ein Spiel: Es handelt sich um eine Verantwortung aller, die durch den spielerischen Dialog verstärkt wird, um einen wirklichen impact zu erzielen.

1 Johan Huizinga, Homo ludens. Vom Ursprung der Kultur im Spiel, Hamburg 1939.
2 Konferenzen wie The architectonics of virtual spaces – Architecture and urbanism in video games and virtual reality, organisiert von Andri Gerber (ZHAW) im Jahr 2018, oder die neueste Publikation Serious Fun (2022) von Mélanie van der Hoorn, begleitet von einer Ausstellung in Zusammenarbeit mit dem Architekturzentrum Wien, beschäftigen sich mit der Frage, wie ein spielerischer Ansatz den Dialog innerhalb unserer Disziplin, aber auch über die Disziplingrenzen hinaus fördern kann.
3 Gespräch mit Ekim Tan, durchgeführt von Maxime Zaugg am 4. März 2024.
4 Huizinga 1939, S. 19.
5 Ekim Tan, Network of Games: An Ecology of Games Informing Integral and Inclusive City Developments. Urban Planning, 2022, S. 264 – 277

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