Artikel aus wbw 11–2023

Tradition und Innovation

Neue Architekturschule in Aarhus von Adept + Vargo Nielsen Palle

Jenny Keller, Rasmus Hjortshøj (Bilder)

Mit dem Bau der New Aarch etablierte sich im dänischen Norden eine neue Atmosphäre, eine neue Kultur für die Architekturlehre der Gegenwart.

Die Brachen-Idylle mit Hochstämmern, die im Spätsommer bereits rote Äpfel tragen, mit einer Sauerteigbäckerei in einer Holzbaracke, einer Bar in einer alten Werkhalle aus Backstein unter schräg einfallendem weichem Licht kontrastiert jäh der rhythmische Sound der Pfählmaschine eines entstehenden Neubaus an der Strasse. Dahinter leuchtet der Regenbogen-Heiligenschein von Olafur Eliasson auf dem Kunstmuseum Aarhus. Nah an den Holzbaracken steht ein Investoren-Klotz mit einer Lidl Filiale im Erdgeschoss, daneben eröffnet bald ein neues Parkhaus. Der ehemalige Güterbahnhof wurde seit 2008 von vielen kleinen Firmen zwischengenutzt, die kulturelles Kapital kreierten und noch heute die DNA der Umgebung bestimmen.


Nach diesem Rundumblick schüttle ich die Kiessteinchen aus meinen Schuhen und werde von der New Aarch, der Architekturschule in Aarhus, mit offenem Schiebetor empfangen: Bei diesen milden Temperaturen öffnen sich die Werkstätten zur Brache, die Schule zur Umgebung. Das Gebäude entwarf das Büro Adept als groben Setzkasten aus Sichtbeton – ja, die Studierenden beschweren sich darüber. Dekanin und Prorektorin Kristine Leth Juul nimmt die Beschwerden zum Anlass, darüber zu reden, welches Material grosse Spannweiten effizient überbrückt.


Die Schule demonstriert mit ihrem räumlichen Programm ihre Offenheit gegenüber den Nachbarn, der Profession, der Wirtschaft und auch den ehemaligen Abgängerinnen und Abgängern. Die Architekturlehre findet hier nicht mehr hinter verschlossenen Türen statt. Und tatsächlich kommen wir auf dem Weg durch das Gebäude an einer Zwischenkritik in einer multifunktionalen Halle im ersten Obergeschoss vorbei. Solche Transparenz hätte ich mir als Studentin gewünscht.


Und so offen wie der Geist der Schule ist nun auch die Architektur. Eigentlich passt es nicht dazu, dass zwei unscheinbare Türen aus Holz mit dahinterliegendem Windfang in die zentrale Eingangshalle von deutlich über 10 Meter Höhe führen. Aber ich erinnere mich: Im Norden ist es sehr kalt im Winter (vgl. wbw 11 – 2022) und ein übergrosser Windfang oder hohe Türen passen nicht zu den Wetterverhältnissen hier.


Innovativer Wettbewerb

Ganz anders das Klima im Innenraum der neuen Architekturschule am Tag meines Besuchs: Kurz vor Mittag ist die Mensa, die die befensterte Ecke zur Brache hin besetzt, noch angenehm leer und wird als Arbeitsbereich genutzt. An einem Foodtruck kann später das Essen geschöpft, der Kaffee bezahlt werden. Tische und Stühle sind ein Relikt der alten Schule, ebenso die unzähligen Pendelleuchten von Louis Poulsen (PH 5 und VL 45 Radiohus), die auf unterschiedlichen Höhen darüberhängen. Sie liefern den Beweis, dass gute Gestaltung nachhaltig und ihr Erhalt identitätsstiftend ist.


Die alte Architekturschule, gegründet 1965, war zuvor in unterschiedlichen Gebäuden in Aarhus verteilt, was die Bildung eines Gemeinschaftsgefühls erschwerte. Mit der Überarbeitung des Curriculums sollte eine neue Schule her. Die Profession der Architektur sei heute aus ganz unterschiedlichen Perspektiven anzuschauen, erklärt Leth Juul. Neu gibt es bessere Werkstatträume, weil die Arbeit am Modell, mit Materialien, Eins-zu-eins-Modellen einen wichtigen Teil im Curriculum besetzt. Das Haus sollte aber auch sehr flexibel sein, um neue didaktische Formate zu testen.


Über einen internationalen Wettbewerb mit 230 Eingaben aus 47 Ländern suchte man in einer ersten Phase (2016) nach Ideen. Auf Grundlage der drei besten Vorschläge aus diesem offenen Verfahren legte die Schule in Zusammenarbeit mit der Stadtverwaltung von Aarhus den endgültigen Standort im Westen des Zentrums fest. Studierende und Mitarbeitende der Schule wurden partizipativ involviert, was zum Wettbewerbsdossier für die zweite Runde führte: Die drei Gewinnerteams des offenen Wettbewerbs traten danach gegen drei präqualifizierte Grössen (Sanaa, Lacaton & Vassal, BIG ) an. Das Team aus Adept, Vargo Nielsen Palle, Rolvung & Brøndsted Arkitekter, Tri-Consult und Steensen Varming lieferte im März 2017 den siegreichen Entwurf.


2021 eröffnet, hat die Schule trotz Pingpong Tisch in der obersten, verbindenden Halle, von der die Zeichensäle erschlossen werden, nicht den Charakter eines Google Campus. Als social Condenser (vgl. wbw 11 – 2021) lebt der Bau durch die Menschen, die ihn nutzen und ihn gleichzeitig verändern. Die Kaskadentreppe aus feuerverzinktem Stahl verbindet die drei Geschosse über die zentrale Halle und führt zu Durchblicken, Licht und Luft.


Unsichtbare Elemente der Architektur

Die gestapelten Betonboxen als Häuser im Haus sind unterschiedlich gestaltet: Manche haben kleinere Holzfenster, andere sind mit grösseren Metallfenstern ausgestattet. Die Möblierung ist experimentell und sei wichtig für die Atmosphäre in den Vorlesungen und Seminaren, sagt Leth Juul: Manchmal liegt nur ein Teppich auf dem Holzboden, der aus upcyceltem Stirnholz aus der Fensterproduktion besteht, manchmal werden Sofas auf Rollen hereingeschoben. Zuweilen unterrichtet man auch im klassischen Setting.


Die Späne fliegen gleich hinter der Mensa: Die Holzwerkstatt, geleitet von einer Schreinerin, ist durch grosse Fenster einsehbar. Metallwerkstatt, Materialraum mit Platz für Mockups aufgrund der Raumhöhe von 12 Metern, 3-D-Drucker, Lasercutter und Industrieroboter Werkstatt lassen nichts vermissen, was ein aktuelles Architekturstudium vermitteln soll.


An den Decken regiert das Chaos der Haustechnik, die bewusst offen geführt wird, damit die Studierenden sich der unsichtbaren Elemente der Architektur bewusst werden. So divers die Lehre – immer mit einem artistic approach – so klassisch die Studentenschaft: Für die Aufnahme zum Studium braucht es einen überdurchschnittlichen Notenschnitt. Er ist höher als derjenige für ein Medizinstudium, und man muss einen zweitägigen Test bestehen. Von 800 Bewerbenden werden 110 pro Jahr aufgenommen. Sehr wenige brechen das Studium danach ab. Diese Elite sei keinesfalls divers, konstatiert die Dekanin. Im Moment gebe es ausserdem ein Ungleichgewicht der Geschlechter: Es studieren rund 70 Prozent Frauen und 30 Prozent Männer an der New Aarch. Die Gymnasien wiesen denselbe Schnitt auf, erklärt Leth Juul.


Die offene Zusammenarbeit der Schule solle auch zu einer kulturellen Diversität führen. So lädt die New Aarch Primarschulen ein, Architektur kennenzulernen. Die Kinder werden von den Studierenden an das Thema herangeführt, so dass sich auch Schüler abseits der bürgerlichen Elite ein Bild von einer zukünftigen Tätigkeit als Architektin, als Architekt machen können. Denn die Zukunft muss von vielen unterschiedlichen Köpfen erdacht und erbaut werden.

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