Artikel aus wbw 10 – 2023

Zweites Leben

Umbau des Felix Platter-Spitals von Müller Sigrist und Rapp Architekten

Roland Züger, Ariel Huber (Bilder)

Nach breitem Widerstand gegen den Abriss des Felix Platter-Spitals hat eine Genossenschaft die zündende Idee: Aus dem Spital werden Wohnungen. In enger Abstimmung mit der Denkmalpflege entstand ein Konzept mit geringer Eingriffstiefe. Das hat das Basler Denkmal der Nachkriegsarchitektur vor dem Verschwinden bewahrt.

Hier genesen keine Patienten mehr. Stattdessen rennen quicklebendige Halbstarke im Haus treppauf und treppab. Allein dieses Schauspiel beweist, dass hier ein neuer Lebensabschnitt beginnt – für ein Gebäude mit langer Krankenakte. Steht man wie einst die Versehrten auf der Dachterrasse, geht der Blick in die Weite: über das nahe Allschwil und die Elsässer Hügel im Westen oder den Schlot der Kehrichtsverbrennung und den Rheinhafen im Norden. Das neue Wahrzeichen im Osten der Stadt, die Roche-Türme wirken von hier aus, knapp 400 Meter von der französischen Grenze entfernt, angenehm entrückt.

Mit seinen 105 Metern Länge und 35 Metern Höhe ist das Felix Platter-Spital selbst ein Hochhaus und massgebliche Landmarke im Arbeiterquartier St. Johann. Mit seinem Erhalt ist nicht nur ein stadträumlicher Orientierungspunkt gerettet. Mit dem Bau bleiben auch die Erinnerungen der Menschen erhalten, die hier gearbeitet haben oder geheilt wurden; das Haus besteht weiterhin als baukulturelle und ökologische Ressource (vgl. wbw 6-2022 «Ressource Bestand»). Dadurch ist es räumlich wie symbolisch das Herzstück im neuen Quartier Westfeld.


Autistische Nachbarn, üppige Landschaft

Von erhöhter Warte aus lassen sich gut die neuen Bausteine des Quartiers betrachten. Vor den Füssen liegt das Ersatz-Spital von Wörner Traxler Richter und Holzer Kobler. Doch weder im Ausdruck noch im Bezug zum Gelände ist ein Bemühen um Ortsbindung auszumachen. Vom ansteigenden Terrain nimmt der 2018 eröffnete Bau der universitären Altersmedizin keine Notiz. Ein Arzt würde bei hier wohl eine Form von Autismus diagnostizieren.


Den städtebaulichen Studienauftrag zum restlichen Areal gewannen Enzmann Fischer Architekten 2015. Ihre Idee eines grossen geschlossenen Wohnblocks, an dem mehrere Architekturbüros (vgl. Situationsplan und Legende) beteiligt sind, besticht auch in der Realisierung. Die Bauabschnitte der unterschiedlichen Autorschaften sind gut aufeinander abgestimmt und setzen auf einen urbanen Sockel. Die Typologie des Blocks ist aus der Umgebung vertraut. Dem Individualismus frönen hingegen drei neue Kleinbauten für lokales Gewerbe und Kultur- und Sozialinstitutionen, die den Zwischenraum zum Spitalneubau hin besetzen. Deren kleiner Massstab ist vom über hundertjährigen Verwaltungsbau an der Burgfelderstrasse im Norden abgeleitet.


Noch fehlt neben einem Velopavillon auch der Kopfbau, der die beiden alten Personalhäuser des Spitals ersetzen soll. Bereits jetzt entfaltet die angenehm üppige Freiraumgestaltung von Lorenz Eugster Landschaftsarchitektur und Städtebau ihre ungewöhnlich städtische Wirkung, gemessen an der Stadtrandlage. So hat Eugster den autofreien Gassen des Areals einen Belag aus bruchrohem Piemonteser Gneis verschrieben – finanziert aus dem prallgefüllten Topf des Mehrwertabgabefonds der Stadt Basel. Vor dem alten Spital weitet sich ein Quartierplatz, mittendrin eine kolossale Gruppe von Eichen, am Platzrand eine Gleditschien-Baumreihe und ein Brunnen. Ein Quartiergarten mit Pergola und Spielflächen grenzt direkt daran an.


Serpentinenweg als Gemeinschaftsraum

Entwickelt hat das neue Quartier Westfeld die 2015 gegründete Baugenossenschaft wohnen & mehr, eine «Genossenschaft der Genossenschaften», an welcher der Dachverband Wohnbaugenossenschaften Nordwestschweiz, zahlreiche Basler Alt-Genossenschaften und Stiftungen beteiligt sind. Gegründet auf Initiative von Richard Schlägel und Andreas Courvoisier gewann sie mit ihrer Idee für ein lebendiges und sozial durchmischtes neues Stadtquartier das Vertrauen des Kantons Basel-Stadt, der ihr das Areal mit 36 000 Quadratmeter Fläche im Baurecht übertrug. Dort hat die Genossenschaft nun rund 530 Wohnungen errichtet, 134 davon im alten Spital.


Die Schlüsselfrage ihres 2018 entschiedenen separaten Studienauftrags zum Spitalumbau war: Wie kann aus der stark determinierten Grundriss-Struktur mit der Nebenraumschicht im Norden und Patientenzimmern im Süden ein Wohnhaus ohne Spitalatmosphäre werden? Im Gegensatz zu Teams wie in situ mit Lacaton & Vassal, die neue Treppentürme an den Altbau andockten, schlugen Müller Sigrist und Rapp so wenige Eingriffe wie nötig vor – und gewannen das Verfahren. Als zentraler Aspekt ihres Vorschlags fand die Rue intérieure der Zürcher Kalkbreite (vgl. wbw 6–2014, S. 68–75) auch in Basel gefallen, als Symbol für das Zusammenleben: ein «Alpaufzug», wie Pascal Müller den Serpentinenweg durchs Haus nennt, der auf der Dachterrasse samt Gemeinschaftsraum gipfelt.


Nach den Kaskadentreppen strecken sich regelmässig die Wohnungen von Fassade zu Fassade. Die enorme Raumhöhe von bis zu 3,10 Metern ermöglicht Oberlicht-Öffnungen in den Trennwänden zum Bad und den Zimmern. So sind die Mittelzonen heller, als der tiefe Grundriss vermuten liesse. Die durchgesteckten Wohnungen erweitern das bereits breite Spektrum an Wohnungsgrössen (mit 1 – 12 Zimmern) und wirken der Monotonie des durchlaufenden Mittelflurs entgegen. Das bricht die grosse Zahl Wohnungen auf überschaubare Einheiten herunter, die sich als kleine Gruppen besser zu Nachbarschaften entwickeln können. Noch fehlen die eigens entworfenen Sitzbänke in den Gängen.


Die zum Teil divergierende Erwartungshaltung der Beteiligten an einen Umbau bezeichnet der Projektleiter Philip Thoma von Müller Sigrist als grösste Herausforderung. «Gerne hätten wir die Spuren des Bestands und die Eingriffe vermehrt auch innerhalb der Wohnungen gezeigt und einen etwas roheren Ausdruck gesucht», meint Thoma zu ihren Erfahrungen beim Weiterbauen alter Bausubstanz.


Beredtes Relief aus historischen Schichten

Errichtet haben das Felix Platter-Spital 1962–67 die Architekten Fritz Rickenbacher und Walter Baumann aus Basel – im Direktauftrag. Mit dem Entscheid zur Spitalschliessung und dem Neubau nebenan war dem Altbau quasi der Totenschein ausgestellt, und er wurde aus dem Denkmalinventar entlassen. Quartiersbevölkerung und Verbände stemmten sich dagegen und fanden schliesslich Gehör. Im Gutachten der Denkmalpflege schrieb der Architekturhistoriker Michael Hanak: «Als hervorragendes, nicht nur durch architektonische, sondern auch durch städtebauliche und typologische Qualitäten sich auszeichnendes Bauwerk gehört das Felix Platter-Spital zu den besten Beispielen seiner Gattung in der Schweiz.»1


Basierend auf der Umnutzungsidee der Genossenschaft setzte die Kantonale Denkmalpflege schliesslich den Schutzumfang fest und versprach 3,25 Millionen Schweizerfranken Subventionen für den Bestandserhalt der Fassaden. Weitere 1,2 Millionen an Unterstützung sprach der Bund. Mit dem angepassten Schutzumfang wurde der Bau wieder ins Verzeichnis der Denkmalpflege eingetragen.


Die tiefsten Eingriffe erforderten die Erdbebenertüchtigung und die Brandschutzvorschriften mit den zwei neuen Treppen hinter den alten Fassaden. Eine weitere Herausforderung war die einst fensterlose Technikzentrale auf dem Dach, in der Wohnungen unterkommen sollten, ohne dass sie sich aussen stark veränderte. Für den Zielkonflikt zwischen Genossenschaftswunsch und  Denkmalpflegeanspruch fand man einen Kompromiss in Form runder Öffnungen, wie sie in Basel beim Umbau des Silos Erlenmatt (Harry Gugger Studio, vgl. wbw 4–2021, S. 6–13) zu sehen sind.


Abgesehen davon konnte historische Substanz wie die gefaltete Südfront (dank einer neuen Glaswand dahinter) weitgehend erhalten werden. Lediglich ein Metallprofil zur Absturzsicherung sowie ein neuer Sonnenschutz kamen dazu und einige Schiebefenster ersetzen die Festverglasung. Auf der Nordseite blieben die Betongitter bestehen und erhielten neue Fenster, die Metallfassade wurde jedoch komplett erneuert.


Am Gebäudefuss die Zehen spreizen

Bei den angedockten Kleinbauten sind die Spuren der Veränderung sichtbar: Fenster sind zugemauert, Brüstungen weggefräst. Auch auf den Erschliessungsgängen im Gebäude bleiben die Spuren des Bestands ablesbar: die weggeschnittene Decke in der Eingangshalle genauso wie die alten Türöffnungen auf den Fluren. Alte und neue Teile sind zum beredten Relief gefügt. Eine grün-graue Lasur auf den unterschiedlichen Materialien wie Leichtbau- und Betonwände (alt und neu) verbindet sie zur vielstimmigen Einheit.

Über den Treppenlauf in der Halle erreicht man die besonderen Nutzungen in den unteren Geschossen: Gästewohnung, Gästezimmer, Co-Working-Büros, Ladenlokale sowie die angedockten ebenerdigen Kleinbauten. Diese greifen am Gebäudefuss beidseitig in den Grünraum hinaus wie gespreizte Zehen. Früher als Therapieräume oder Mensa genutzt, lassen die Räume heute eine vielfältige Mischung zu. Zum Quartierplatz liegt ein Café, dahinter befinden sich ein Supermarkt sowie ein Fitnesscenter. Nach Süden sind es Kindergarten und Horträume sowie mehrere Säle, die vom Quartierverein als Treffpunkt für das Iselin-Viertel betrieben werden. Der an menschlichen Proportionen orientierte Massstab der Annexe versöhnt mit der Brachialität des Zehngeschossers.


Mit dem Erhalt des Spitalbaus konnten auch die kolossalen Bäume gerettet werden. Die prächtigen Exemplare sind Sonnenschutz auf der Südseite und erhöhen die Lebensqualität im Quartier. Sie sind Teil eines Grünraumkorridors, der den Kannenfeldpark im Norden mit den alten Bäumen der Bachwiesenpromenade verbindet. Hier entlangzuspazieren ist vitalisierend – gerade an heissen Sommertagen – und angesichts des gelungenen Umbaus des Felix Platter-Spitals ein Heilmittel gegen das derzeit grassierende Abrissfieber.

1 Der sogenannte Ratschlag bezeichnet den Regierungsratsbeschluss vom 30. November 2021, vgl. www.grosserrat.bs.ch (abgerufen am 1.9.2023).

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